Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. zu wälzen. Allein zugleich trafen Boten von Utica, der zweitenStadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben -- mit die- ser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen schien es fast Trotz, dass die Karthager sich begnügt hatten die Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wis- sen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder un- möglich zu glauben, dass nun wirklich für die liebe Heimathstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagi- sche Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg er- klärt (Anf. 605) und das doppelte Consularheer eingeschifft; doch versuchten sie durch vollständige Unterwerfung den Sturm noch jetzt zu beschwören. Der Senat beschied sie, dass Rom be- reit sei der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantiren, wofern sie den so eben nach Sicilien abgegange- nen Consuln binnen Monatfrist in Lilybaeon 300 Geisseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Consuln nach ihrer In- struction würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zwei- deutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles was man nur begehren konnte, garantirt ward mit einziger Aus- nahme der Stadt, und dass keine Rede davon war die Einschif- fung der Truppen nach Africa zu sistiren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit fürchterlicher Härte, aber er gab sich keineswegs den Anschein begnadigen zu wollen. Indess man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu begeistern vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdecret und die erträgliche Geisselforderung vernahm, fügte man zu- nächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Muth nicht hatte es auszudenken, was es heisse einem Todfeinde sich auf jede Bedingung zu ergeben. Die Consuln sandten die Geisseln von Lilybaeon zurück nach Rom und beschieden die karthagi- schen Boten das Weitere in Africa zu vernehmen. Ohne Wider- stand erfolgte die Landung und wurden die geforderten Lebens DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. zu wälzen. Allein zugleich trafen Boten von Utica, der zweitenStadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben — mit die- ser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen schien es fast Trotz, daſs die Karthager sich begnügt hatten die Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daſs die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hieſs es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wis- sen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder un- möglich zu glauben, daſs nun wirklich für die liebe Heimathstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagi- sche Sendboten, diesmal ihrer dreiſsig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg er- klärt (Anf. 605) und das doppelte Consularheer eingeschifft; doch versuchten sie durch vollständige Unterwerfung den Sturm noch jetzt zu beschwören. Der Senat beschied sie, daſs Rom be- reit sei der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantiren, wofern sie den so eben nach Sicilien abgegange- nen Consuln binnen Monatfrist in Lilybaeon 300 Geiſseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Consuln nach ihrer In- struction würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zwei- deutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daſs alles was man nur begehren konnte, garantirt ward mit einziger Aus- nahme der Stadt, und daſs keine Rede davon war die Einschif- fung der Truppen nach Africa zu sistiren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit fürchterlicher Härte, aber er gab sich keineswegs den Anschein begnadigen zu wollen. Indeſs man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu begeistern vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdecret und die erträgliche Geiſselforderung vernahm, fügte man zu- nächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Muth nicht hatte es auszudenken, was es heiſse einem Todfeinde sich auf jede Bedingung zu ergeben. Die Consuln sandten die Geiſseln von Lilybaeon zurück nach Rom und beschieden die karthagi- schen Boten das Weitere in Africa zu vernehmen. 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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
zu wälzen. Allein zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten
Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten
ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben — mit die-
ser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen schien es fast
Trotz, daſs die Karthager sich begnügt hatten die Hinrichtung
ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat
erklärte, daſs die Entschuldigung der Karthager unzureichend
befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hieſs es,
das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wis-
sen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder un-
möglich zu glauben, daſs nun wirklich für die liebe Heimathstadt
die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagi-
sche Sendboten, diesmal ihrer dreiſsig und mit unbeschränkter
Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg er-
klärt (Anf. 605) und das doppelte Consularheer eingeschifft;
doch versuchten sie durch vollständige Unterwerfung den Sturm
noch jetzt zu beschwören. Der Senat beschied sie, daſs Rom be-
reit sei der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische
Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen
zu garantiren, wofern sie den so eben nach Sicilien abgegange-
nen Consuln binnen Monatfrist in Lilybaeon 300 Geiſseln aus
den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren
Befehle erfüllen würden, die ihnen die Consuln nach ihrer In-
struction würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zwei-
deutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daſs alles
was man nur begehren konnte, garantirt ward mit einziger Aus-
nahme der Stadt, und daſs keine Rede davon war die Einschif-
fung der Truppen nach Africa zu sistiren, zeigte sehr deutlich,
was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit fürchterlicher
Härte, aber er gab sich keineswegs den Anschein begnadigen zu
wollen. Indeſs man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder
zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu begeistern
vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdecret
und die erträgliche Geiſselforderung vernahm, fügte man zu-
nächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Muth nicht
hatte es auszudenken, was es heiſse einem Todfeinde sich auf
jede Bedingung zu ergeben. Die Consuln sandten die Geiſseln
von Lilybaeon zurück nach Rom und beschieden die karthagi-
schen Boten das Weitere in Africa zu vernehmen. Ohne Wider-
stand erfolgte die Landung und wurden die geforderten Lebens
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