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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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RELIGION.
Jünger des Karneades, aber als Bürger und Pontifex ein recht-
gläubiger Bekenner des capitolinischen Jupiter sei, der Epikureer
sogar schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines
dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreif-
lichkeit des Euhemerismus übte wohl eine gewisse Anziehungs-
kraft auf die Römer; Ennius hat den philosophisch-historischen
Reiseroman des Euhemeros übersetzt und auf die conventionelle
Geschichte Roms hat diese zugleich kindische und altersschwa-
che Historisirung der Fabel nur zu tief eingewirkt; auf die rö-
mische Religion blieb sie desshalb ohne wesentlichen Einfluss,
weil diese von Haus aus nur allegorisirte, nicht fabulirte und es
dort nicht wie in Hellas möglich war Biographien Zeus des ersten,
zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte
nur gedeihen, wo wie in Athen die geistreiche Maulfertigkeit zu
Hause war und überdies die langen Reihen gekommener und ge-
gangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger
Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den epikurischen
Quietismus lehnte zwar auch alles sich auf, was in dem römi-
schen so durchaus auf Thätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und
brav war; doch fand derselbe sein Publicum und es ist wohl dies
der Grund, wesshalb die Polizei dieser Secte länger als den übri-
gen den Krieg zu machen fortfuhr. Indess blieb auch der Epi-
kureismus in Italien in dieser Epoche wenigstens auf einen engen
Kreis beschränkt, in dem er nicht so sehr als philosophisches Sy-
stem, sondern als eine Art philosophischen Dominos diente,
unter dem -- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Ur-
hebers -- der gedankenlose Sinnengenuss für die gute Gesell-
schaft sich maskirte; wie denn einer der frühesten Bekenner
dieser Secte Titus Albucius in Lucilius Gedichten als das Proto-
typ des übel hellenisirten Römers figurirt. -- Gar anders stand
und wirkte in Italien die stoische Philosophie, indem sie an die
Landesreligion so eng sich anschloss, wie das Wissen sich dem
Glauben zu accommodiren überhaupt vermag. Der Stoiker hielt
grundsätzlich an dem Volksglauben mit seinen Göttern und Ora-
keln insofern fest, als er darin eine instinctive Erkenntniss sah,
auf welche die wissenschaftliche Erkenntniss Rücksicht zu neh-
men, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr unterzuordnen verpflichtet
sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich ande-
res: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die
Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wie-
derum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als

RELIGION.
Jünger des Karneades, aber als Bürger und Pontifex ein recht-
gläubiger Bekenner des capitolinischen Jupiter sei, der Epikureer
sogar schlieſslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines
dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreif-
lichkeit des Euhemerismus übte wohl eine gewisse Anziehungs-
kraft auf die Römer; Ennius hat den philosophisch-historischen
Reiseroman des Euhemeros übersetzt und auf die conventionelle
Geschichte Roms hat diese zugleich kindische und altersschwa-
che Historisirung der Fabel nur zu tief eingewirkt; auf die rö-
mische Religion blieb sie deſshalb ohne wesentlichen Einfluſs,
weil diese von Haus aus nur allegorisirte, nicht fabulirte und es
dort nicht wie in Hellas möglich war Biographien Zeus des ersten,
zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte
nur gedeihen, wo wie in Athen die geistreiche Maulfertigkeit zu
Hause war und überdies die langen Reihen gekommener und ge-
gangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger
Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den epikurischen
Quietismus lehnte zwar auch alles sich auf, was in dem römi-
schen so durchaus auf Thätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und
brav war; doch fand derselbe sein Publicum und es ist wohl dies
der Grund, weſshalb die Polizei dieser Secte länger als den übri-
gen den Krieg zu machen fortfuhr. Indeſs blieb auch der Epi-
kureismus in Italien in dieser Epoche wenigstens auf einen engen
Kreis beschränkt, in dem er nicht so sehr als philosophisches Sy-
stem, sondern als eine Art philosophischen Dominos diente,
unter dem — sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Ur-
hebers — der gedankenlose Sinnengenuſs für die gute Gesell-
schaft sich maskirte; wie denn einer der frühesten Bekenner
dieser Secte Titus Albucius in Lucilius Gedichten als das Proto-
typ des übel hellenisirten Römers figurirt. — Gar anders stand
und wirkte in Italien die stoische Philosophie, indem sie an die
Landesreligion so eng sich anschloſs, wie das Wissen sich dem
Glauben zu accommodiren überhaupt vermag. Der Stoiker hielt
grundsätzlich an dem Volksglauben mit seinen Göttern und Ora-
keln insofern fest, als er darin eine instinctive Erkenntniſs sah,
auf welche die wissenschaftliche Erkenntniſs Rücksicht zu neh-
men, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr unterzuordnen verpflichtet
sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich ande-
res: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die
Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wie-
derum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als

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[395/0405] RELIGION. Jünger des Karneades, aber als Bürger und Pontifex ein recht- gläubiger Bekenner des capitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar schlieſslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreif- lichkeit des Euhemerismus übte wohl eine gewisse Anziehungs- kraft auf die Römer; Ennius hat den philosophisch-historischen Reiseroman des Euhemeros übersetzt und auf die conventionelle Geschichte Roms hat diese zugleich kindische und altersschwa- che Historisirung der Fabel nur zu tief eingewirkt; auf die rö- mische Religion blieb sie deſshalb ohne wesentlichen Einfluſs, weil diese von Haus aus nur allegorisirte, nicht fabulirte und es dort nicht wie in Hellas möglich war Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo wie in Athen die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen Reihen gekommener und ge- gangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den epikurischen Quietismus lehnte zwar auch alles sich auf, was in dem römi- schen so durchaus auf Thätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav war; doch fand derselbe sein Publicum und es ist wohl dies der Grund, weſshalb die Polizei dieser Secte länger als den übri- gen den Krieg zu machen fortfuhr. Indeſs blieb auch der Epi- kureismus in Italien in dieser Epoche wenigstens auf einen engen Kreis beschränkt, in dem er nicht so sehr als philosophisches Sy- stem, sondern als eine Art philosophischen Dominos diente, unter dem — sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Ur- hebers — der gedankenlose Sinnengenuſs für die gute Gesell- schaft sich maskirte; wie denn einer der frühesten Bekenner dieser Secte Titus Albucius in Lucilius Gedichten als das Proto- typ des übel hellenisirten Römers figurirt. — Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie, indem sie an die Landesreligion so eng sich anschloſs, wie das Wissen sich dem Glauben zu accommodiren überhaupt vermag. Der Stoiker hielt grundsätzlich an dem Volksglauben mit seinen Göttern und Ora- keln insofern fest, als er darin eine instinctive Erkenntniſs sah, auf welche die wissenschaftliche Erkenntniſs Rücksicht zu neh- men, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich ande- res: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wie- derum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/405>, abgerufen am 26.11.2024.