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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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LITTERATUR UND KUNST.
Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre
Diaskeuasten fanden (S. 407); ebenso ward hervorgehoben, dass
nicht bloss der scipionische Kreis überhaupt vor allem andern
auf Correctheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten
Schriftsteller, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich beschäftig-
ten mit Regulirung der Orthographie und der Grammatik. Gleich-
zeitig begegnen einzelne Versuche von der historischen Seite her
die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlun-
gen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina
,über die Censoren', des Tuditanus ,über die Beamten', schwer-
lich besser gerathen sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
die Bücher über die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus
Marcus Junius als der erste Versuch die Alterthumsforschung für
politische Zwecke nutzbar zu machen *, und die Didaskalien des
Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Litterargeschichte des la-
teinischen Dramas. Indess jene Anfänge einer wissenschaftlichen
Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr unwissen-
schaftliches Gepräge, das lebhaft erinnert an unsere Orthogra-
phielitteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; und auch die
antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne
Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen dürfen. Der-
jenige Römer, der zuerst die lateinische Sprach- und Alterthums-
forschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaft-
lich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (S. 407). Er
zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und com-
mentirte die saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht.
Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine beson-
dere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichniss der
nach seiner Ansicht ächten plautinischen Stücke auf. Er suchte
nach griechischer Art die Anfänge einer jeden einzelnen Erschei-
nung des römischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu be-
stimmen und für jede den ,Erfinder' zu ermitteln und zog zu-
gleich die gesammte annalistische Ueberlieferung in den Kreis
seiner Forschung. Von dem Erfolg, den er bei seinen Zeitge-
nossen hatte, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichte-
rischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der
Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher des Antipater;
und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die

* Die Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Königszeit
von der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher
falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.
Röm. Gesch. II. 28

LITTERATUR UND KUNST.
Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre
Diaskeuasten fanden (S. 407); ebenso ward hervorgehoben, daſs
nicht bloſs der scipionische Kreis überhaupt vor allem andern
auf Correctheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten
Schriftsteller, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich beschäftig-
ten mit Regulirung der Orthographie und der Grammatik. Gleich-
zeitig begegnen einzelne Versuche von der historischen Seite her
die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlun-
gen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina
‚über die Censoren‘, des Tuditanus ‚über die Beamten‘, schwer-
lich besser gerathen sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
die Bücher über die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus
Marcus Junius als der erste Versuch die Alterthumsforschung für
politische Zwecke nutzbar zu machen *, und die Didaskalien des
Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Litterargeschichte des la-
teinischen Dramas. Indeſs jene Anfänge einer wissenschaftlichen
Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr unwissen-
schaftliches Gepräge, das lebhaft erinnert an unsere Orthogra-
phielitteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; und auch die
antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne
Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen dürfen. Der-
jenige Römer, der zuerst die lateinische Sprach- und Alterthums-
forschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaft-
lich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (S. 407). Er
zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und com-
mentirte die saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht.
Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine beson-
dere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichniſs der
nach seiner Ansicht ächten plautinischen Stücke auf. Er suchte
nach griechischer Art die Anfänge einer jeden einzelnen Erschei-
nung des römischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu be-
stimmen und für jede den ‚Erfinder‘ zu ermitteln und zog zu-
gleich die gesammte annalistische Ueberlieferung in den Kreis
seiner Forschung. Von dem Erfolg, den er bei seinen Zeitge-
nossen hatte, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichte-
rischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der
Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher des Antipater;
und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die

* Die Behauptung zum Beispiel, daſs die Quaestoren in der Königszeit
von der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher
falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.
Röm. Gesch. II. 28
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[433/0443] LITTERATUR UND KUNST. Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten fanden (S. 407); ebenso ward hervorgehoben, daſs nicht bloſs der scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Correctheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten Schriftsteller, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich beschäftig- ten mit Regulirung der Orthographie und der Grammatik. Gleich- zeitig begegnen einzelne Versuche von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlun- gen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina ‚über die Censoren‘, des Tuditanus ‚über die Beamten‘, schwer- lich besser gerathen sein als ihre Chroniken. Interessanter sind die Bücher über die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus Marcus Junius als der erste Versuch die Alterthumsforschung für politische Zwecke nutzbar zu machen *, und die Didaskalien des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Litterargeschichte des la- teinischen Dramas. Indeſs jene Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr unwissen- schaftliches Gepräge, das lebhaft erinnert an unsere Orthogra- phielitteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; und auch die antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen dürfen. Der- jenige Römer, der zuerst die lateinische Sprach- und Alterthums- forschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaft- lich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (S. 407). Er zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und com- mentirte die saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine beson- dere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichniſs der nach seiner Ansicht ächten plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge einer jeden einzelnen Erschei- nung des römischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu be- stimmen und für jede den ‚Erfinder‘ zu ermitteln und zog zu- gleich die gesammte annalistische Ueberlieferung in den Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, den er bei seinen Zeitge- nossen hatte, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichte- rischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die * Die Behauptung zum Beispiel, daſs die Quaestoren in der Königszeit von der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt. Röm. Gesch. II. 28

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/443>, abgerufen am 23.11.2024.