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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
ger fand, zu Hause oder auch auf offenem Markt ertheilt wur-
den, und an die schon rationelle und polemische Erörterungen
und die der Rechtswissenschaft eigenthümlichen stehenden Con-
troversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten
Jahrhunderts an aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt ge-
macht zu werden; es geschah dies zuerst von dem jüngeren Cato
(+ um 600) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig) und schon
diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geord-
net *. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen
Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex
Quintus Mucius Scaevola (Consul 659, + 672; S. 201. 312. 398),
in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Prie-
sterthum erblich war. Seine achtzehn Bücher ,vom Landrecht',
welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestim-
mungen, die Präjudicate und die Autoritäten theils aus den älte-
ren Sammlungen, theils aus der mündlichen Ueberlieferung in
möglichster Vollständigkeit zusammen fassten, sind der Ausgangs-
punkt und das Muster der ausführlichen römischen Rechtssy-
steme geworden; ebenso wurde seine resumirende Schrift ,Defi-
nitionen' die Grundlage der juristischen Compendien und na-
mentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwickelung
natürlich im Wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor
sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit der philosophisch-
praktischen Systematisirung der Griechen im Allgemeinen un-
zweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der
Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben. Dass in einzelnen mehr
äusserlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa
bestimmt ward, ward schon bemerkt (S. 397).

Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen
auf. In der Architektur, Sculptur und Malerei breitete zwar das
dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die
eigene Uebung ging eher rück- als vorwärts. Immer gewöhn-
licher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden die
Kunstwerke sich mit anzusehen, wofür namentlich die Winter-
quartiere der sullanischen Armee in Kleinasien 670/1 epoche-
machend wurden. Die Kunstkennerschaft, zunächst von silber-
nem und bronzenem Geräth, entwickelte sich auch in Italien.

* Catos Buch führte, wie es scheint, den Titel de iuris disciplina
(Gell. 13, 20), das des Brutus den de iure civili (Cic. pro
Cluent. 51, 141.
de or.2, 55, 223); dass es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt
Cicero (de or. 2, 33, 142).

VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
ger fand, zu Hause oder auch auf offenem Markt ertheilt wur-
den, und an die schon rationelle und polemische Erörterungen
und die der Rechtswissenschaft eigenthümlichen stehenden Con-
troversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten
Jahrhunderts an aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt ge-
macht zu werden; es geschah dies zuerst von dem jüngeren Cato
(† um 600) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig) und schon
diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geord-
net *. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen
Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex
Quintus Mucius Scaevola (Consul 659, † 672; S. 201. 312. 398),
in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Prie-
sterthum erblich war. Seine achtzehn Bücher ‚vom Landrecht‘,
welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestim-
mungen, die Präjudicate und die Autoritäten theils aus den älte-
ren Sammlungen, theils aus der mündlichen Ueberlieferung in
möglichster Vollständigkeit zusammen faſsten, sind der Ausgangs-
punkt und das Muster der ausführlichen römischen Rechtssy-
steme geworden; ebenso wurde seine resumirende Schrift ‚Defi-
nitionen‘ die Grundlage der juristischen Compendien und na-
mentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwickelung
natürlich im Wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor
sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit der philosophisch-
praktischen Systematisirung der Griechen im Allgemeinen un-
zweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der
Rechtswissenschaft den Anstoſs gegeben. Daſs in einzelnen mehr
äuſserlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa
bestimmt ward, ward schon bemerkt (S. 397).

Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen
auf. In der Architektur, Sculptur und Malerei breitete zwar das
dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die
eigene Uebung ging eher rück- als vorwärts. Immer gewöhn-
licher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden die
Kunstwerke sich mit anzusehen, wofür namentlich die Winter-
quartiere der sullanischen Armee in Kleinasien 670/1 epoche-
machend wurden. Die Kunstkennerschaft, zunächst von silber-
nem und bronzenem Geräth, entwickelte sich auch in Italien.

* Catos Buch führte, wie es scheint, den Titel de iuris disciplina
(Gell. 13, 20), das des Brutus den de iure civili (Cic. pro
Cluent. 51, 141.
de or.2, 55, 223); daſs es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt
Cicero (de or. 2, 33, 142).
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[436/0446] VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. ger fand, zu Hause oder auch auf offenem Markt ertheilt wur- den, und an die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der Rechtswissenschaft eigenthümlichen stehenden Con- troversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt ge- macht zu werden; es geschah dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig) und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geord- net *. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Consul 659, † 672; S. 201. 312. 398), in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Prie- sterthum erblich war. Seine achtzehn Bücher ‚vom Landrecht‘, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestim- mungen, die Präjudicate und die Autoritäten theils aus den älte- ren Sammlungen, theils aus der mündlichen Ueberlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammen faſsten, sind der Ausgangs- punkt und das Muster der ausführlichen römischen Rechtssy- steme geworden; ebenso wurde seine resumirende Schrift ‚Defi- nitionen‘ die Grundlage der juristischen Compendien und na- mentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwickelung natürlich im Wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit der philosophisch- praktischen Systematisirung der Griechen im Allgemeinen un- zweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoſs gegeben. Daſs in einzelnen mehr äuſserlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt (S. 397). Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, Sculptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rück- als vorwärts. Immer gewöhn- licher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden die Kunstwerke sich mit anzusehen, wofür namentlich die Winter- quartiere der sullanischen Armee in Kleinasien 670/1 epoche- machend wurden. Die Kunstkennerschaft, zunächst von silber- nem und bronzenem Geräth, entwickelte sich auch in Italien. * Catos Buch führte, wie es scheint, den Titel de iuris disciplina (Gell. 13, 20), das des Brutus den de iure civili (Cic. pro Cluent. 51, 141. de or.2, 55, 223); daſs es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (de or. 2, 33, 142).

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/446>, abgerufen am 22.11.2024.