Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, derbald darauf zum Consul für 621 ernannt ward. So stellte Gra- cchus gleich nach Antritt seines Amtes den Antrag auf Erlassung eines Ackergesetzes, das im Wesentlichen nichts war als eine Erneuerung des licinisch-sextischen vom J. 387 der Stadt (I, 192). Es sollten danach die sämmtlichen occupirten und von Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien -- die ver- pachteten wie z. B. das Gebiet von Capua berührte das Gesetz nicht -- von Staatswegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschränkung, dass der einzelne Occupant für sich 500 und für jeden Sohn 250, im Ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantirtem Besitz solle behalten oder dafür Er- satz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwanige Verbes- serungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädi- gung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Loose von 30 Morgen zerschlagen und diese theils an Bürger, theils an italische Bundesgenossen vertheilt werden, nicht als freies Eigen, sondern als unveräusserliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mä- ssige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Eine Commission von drei Männern ward mit dem Einziehungs- und Auftheilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wich- tige und schwierige Auftrag kam rechtlich festzustellen, was Do- manialland und was Privateigenthum sei. Mit dem licinisch- sextischen Gesetz hatte dies sempronische Ackergesetz das Princip gemein; neu dagegen waren theils die Clausel zu Gun- sten der beerbten Besitzer, theils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräusserlichkeit, theils und vor allem die Executivcommission, deren Fehlen in dem äl- teren Gesetz wesentlich bewirkt hatte, dass dasselbe so gut wie ganz ohne praktische Anwendung blieb. -- Den grossen Grund- besitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt; ein ein- zelner Beamter stand wieder einmal in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der seit langem für solche Fälle hergebrachten Weise die Aus- schreitungen des Beamtenthums durch sich selber zu paralysi- ren (I, 200). Ein College des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Do- manialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, that Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfas- sungsmässig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistirte nun Röm. Gesch. II. 6
DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, derbald darauf zum Consul für 621 ernannt ward. So stellte Gra- cchus gleich nach Antritt seines Amtes den Antrag auf Erlassung eines Ackergesetzes, das im Wesentlichen nichts war als eine Erneuerung des licinisch-sextischen vom J. 387 der Stadt (I, 192). Es sollten danach die sämmtlichen occupirten und von Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien — die ver- pachteten wie z. B. das Gebiet von Capua berührte das Gesetz nicht — von Staatswegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschränkung, daſs der einzelne Occupant für sich 500 und für jeden Sohn 250, im Ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantirtem Besitz solle behalten oder dafür Er- satz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwanige Verbes- serungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädi- gung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Loose von 30 Morgen zerschlagen und diese theils an Bürger, theils an italische Bundesgenossen vertheilt werden, nicht als freies Eigen, sondern als unveräuſserliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mä- ſsige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Eine Commission von drei Männern ward mit dem Einziehungs- und Auftheilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wich- tige und schwierige Auftrag kam rechtlich festzustellen, was Do- manialland und was Privateigenthum sei. Mit dem licinisch- sextischen Gesetz hatte dies sempronische Ackergesetz das Princip gemein; neu dagegen waren theils die Clausel zu Gun- sten der beerbten Besitzer, theils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräuſserlichkeit, theils und vor allem die Executivcommission, deren Fehlen in dem äl- teren Gesetz wesentlich bewirkt hatte, daſs dasselbe so gut wie ganz ohne praktische Anwendung blieb. — Den groſsen Grund- besitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt; ein ein- zelner Beamter stand wieder einmal in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der seit langem für solche Fälle hergebrachten Weise die Aus- schreitungen des Beamtenthums durch sich selber zu paralysi- ren (I, 200). Ein College des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Do- manialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, that Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfas- sungsmäſsig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistirte nun Röm. Gesch. II. 6
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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der
bald darauf zum Consul für 621 ernannt ward. So stellte Gra-
cchus gleich nach Antritt seines Amtes den Antrag auf Erlassung
eines Ackergesetzes, das im Wesentlichen nichts war als eine
Erneuerung des licinisch-sextischen vom J. 387 der Stadt (I,
192). Es sollten danach die sämmtlichen occupirten und von
Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien — die ver-
pachteten wie z. B. das Gebiet von Capua berührte das Gesetz
nicht — von Staatswegen eingezogen werden, jedoch mit der
Beschränkung, daſs der einzelne Occupant für sich 500 und für
jeden Sohn 250, im Ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu
bleibendem und garantirtem Besitz solle behalten oder dafür Er-
satz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwanige Verbes-
serungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädi-
gung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland
sollte in Loose von 30 Morgen zerschlagen und diese theils an
Bürger, theils an italische Bundesgenossen vertheilt werden,
nicht als freies Eigen, sondern als unveräuſserliche Erbpacht,
deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mä-
ſsige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten.
Eine Commission von drei Männern ward mit dem Einziehungs-
und Auftheilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wich-
tige und schwierige Auftrag kam rechtlich festzustellen, was Do-
manialland und was Privateigenthum sei. Mit dem licinisch-
sextischen Gesetz hatte dies sempronische Ackergesetz das
Princip gemein; neu dagegen waren theils die Clausel zu Gun-
sten der beerbten Besitzer, theils die für die neuen Landstellen
beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräuſserlichkeit, theils
und vor allem die Executivcommission, deren Fehlen in dem äl-
teren Gesetz wesentlich bewirkt hatte, daſs dasselbe so gut wie
ganz ohne praktische Anwendung blieb. — Den groſsen Grund-
besitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen
Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt; ein ein-
zelner Beamter stand wieder einmal in ernsthafter Opposition
gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf
in der seit langem für solche Fälle hergebrachten Weise die Aus-
schreitungen des Beamtenthums durch sich selber zu paralysi-
ren (I, 200). Ein College des Gracchus, Marcus Octavius, ein
entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Do-
manialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, that Einspruch, als
dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfas-
sungsmäſsig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistirte nun
Röm. Gesch. II. 6
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