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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbit-
terung der Aristokratie. Als die Commission sich wie üblich an
den Senat wandte um ihre Ausstattungs- und Taggelder ange-
wiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld an-
gewiesen von 24 Assen (13 Groschen). Die Fehde griff immer
weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher.
Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Ein-
ziehung und Auftheilung der Domänen trug den Hader in jede
Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte.
Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht
sich gefallen lassen werde, weil sie müsse, der unberufene Ge-
setzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; es war
noch bei weitem nicht die schlimmste Drohung, dass Quintus
Pompeius verhiess an demselben Tage, wo Gracchus das Tribu-
nat niederlegen werde, ihn in Anklagestand zu versetzen. Grac-
chus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicher-
heit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne ein
Gefolge von 3-4000 Menschen, worüber er selbst von dem der
Reform an sich nicht abgeneigten Metellus bittere Worte im Se-
nat hören musste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte mit
Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte
er jetzt zu lernen, dass er erst am Anfang stand. Das ,Volk' war
ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn
er keinen andern Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des
Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch
andere und weiter greifende Massregeln neue und immer neue
Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Eben damals war
durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Rö-
mern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus be-
antragte bei dem Volk die Vertheilung des pergamenischen Schatzes
unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen
Beschlags und vindicirte überhaupt gegen die bestehende Uebung
der Bürgerschaft das Recht über die neue Provinz definitiv zu ent-
scheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienst-
zeit, über Ausdehnung des Provocationsrechts, über die Aufhebung
des Vorrechts der Senatoren ausschliesslich als Civilgeschworne
zu fungiren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenos-
sen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben;
wie viel von diesen angeblichen Plänen er wirklich entworfen hat,
lässt sich nicht entscheiden, aber gewiss ist es, dass Gracchus
seine einzige Rettung darin sah das Amt, das ihn schützte, von
der Bürgerschaft zur Durchbringung weiterer Reformgesetze ver-

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbit-
terung der Aristokratie. Als die Commission sich wie üblich an
den Senat wandte um ihre Ausstattungs- und Taggelder ange-
wiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld an-
gewiesen von 24 Assen (13 Groschen). Die Fehde griff immer
weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher.
Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Ein-
ziehung und Auftheilung der Domänen trug den Hader in jede
Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte.
Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daſs sie das Gesetz vielleicht
sich gefallen lassen werde, weil sie müsse, der unberufene Ge-
setzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; es war
noch bei weitem nicht die schlimmste Drohung, daſs Quintus
Pompeius verhieſs an demselben Tage, wo Gracchus das Tribu-
nat niederlegen werde, ihn in Anklagestand zu versetzen. Grac-
chus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicher-
heit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne ein
Gefolge von 3-4000 Menschen, worüber er selbst von dem der
Reform an sich nicht abgeneigten Metellus bittere Worte im Se-
nat hören muſste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte mit
Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte
er jetzt zu lernen, daſs er erst am Anfang stand. Das ‚Volk‘ war
ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn
er keinen andern Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des
Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch
andere und weiter greifende Maſsregeln neue und immer neue
Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Eben damals war
durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Rö-
mern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus be-
antragte bei dem Volk die Vertheilung des pergamenischen Schatzes
unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen
Beschlags und vindicirte überhaupt gegen die bestehende Uebung
der Bürgerschaft das Recht über die neue Provinz definitiv zu ent-
scheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienst-
zeit, über Ausdehnung des Provocationsrechts, über die Aufhebung
des Vorrechts der Senatoren ausschlieſslich als Civilgeschworne
zu fungiren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenos-
sen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben;
wie viel von diesen angeblichen Plänen er wirklich entworfen hat,
läſst sich nicht entscheiden, aber gewiſs ist es, daſs Gracchus
seine einzige Rettung darin sah das Amt, das ihn schützte, von
der Bürgerschaft zur Durchbringung weiterer Reformgesetze ver-

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[83/0093] DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbit- terung der Aristokratie. Als die Commission sich wie üblich an den Senat wandte um ihre Ausstattungs- und Taggelder ange- wiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld an- gewiesen von 24 Assen (13 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Ein- ziehung und Auftheilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daſs sie das Gesetz vielleicht sich gefallen lassen werde, weil sie müsse, der unberufene Ge- setzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; es war noch bei weitem nicht die schlimmste Drohung, daſs Quintus Pompeius verhieſs an demselben Tage, wo Gracchus das Tribu- nat niederlegen werde, ihn in Anklagestand zu versetzen. Grac- chus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicher- heit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne ein Gefolge von 3-4000 Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus bittere Worte im Se- nat hören muſste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daſs er erst am Anfang stand. Das ‚Volk‘ war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen andern Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weiter greifende Maſsregeln neue und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Eben damals war durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Rö- mern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus be- antragte bei dem Volk die Vertheilung des pergamenischen Schatzes unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen Beschlags und vindicirte überhaupt gegen die bestehende Uebung der Bürgerschaft das Recht über die neue Provinz definitiv zu ent- scheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienst- zeit, über Ausdehnung des Provocationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren ausschlieſslich als Civilgeschworne zu fungiren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenos- sen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben; wie viel von diesen angeblichen Plänen er wirklich entworfen hat, läſst sich nicht entscheiden, aber gewiſs ist es, daſs Gracchus seine einzige Rettung darin sah das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft zur Durchbringung weiterer Reformgesetze ver- 6*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/93>, abgerufen am 21.11.2024.