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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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STURZ DER OLIGARCHIE.
kratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche
Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rech-
ten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach
Einbringung seiner Anträge in der Curie sich zeigte, fehlte nicht
viel, dass ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hät-
ten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvortheilhaft
diese Methode zu argumentiren für sie ablaufen musste. Der Tri-
bun entkam auf den Markt und rief die Menge auf das Rathhaus
zu stürmen. Die rechtzeitige Aufhebung der Sitzung entzog den
Senat dem drohenden Sturm; der Consul Piso aber, der Vor-
kämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände ge-
rieth, wäre sicher ein Opfer der Volkswuth geworden, wenn
nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch
unzeitige Frevelthaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu
stellen, den Consul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbit-
terung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung
in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen zum Theil
ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel dass Lucius Lucullus die
ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder theils in Rom zins-
bar belegt, theils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache
des Volkes abwendig zu machen versucht habe; dass der Senat
dem ,zweiten Romulus', wie man Pompeius nannte, das Schick-
sal des ersten * zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber
kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt
stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren
alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte,
mit Menschen bedeckt. Sämmtliche Collegen des Gabinius hat-
ten dem Senat die Intercession zugesagt; aber den brausenden
Wogen der Massen gegenüber schwiegen sie alle bis auf den ein-
zigen Lucius Trebellius, der es sich und dem Senat geschworen
hatte lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser intercedirte,
unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetz-
vorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke: mit sei-
nem widerstrebenden Collegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius
Gracchus Antrag mit dem Octavius verfahren war (II. 82), das
heisst ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt
und die Verlesung der Stimmtafeln begann; die ersten siebzehn
Bezirke, die zur Verlesung kamen, erklärten sich für den Antrag
und die nächste bejahende Stimme gab demselben die Majorität.

* Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in
Stücke
zerrissen.

STURZ DER OLIGARCHIE.
kratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche
Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rech-
ten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach
Einbringung seiner Anträge in der Curie sich zeigte, fehlte nicht
viel, daſs ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hät-
ten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvortheilhaft
diese Methode zu argumentiren für sie ablaufen muſste. Der Tri-
bun entkam auf den Markt und rief die Menge auf das Rathhaus
zu stürmen. Die rechtzeitige Aufhebung der Sitzung entzog den
Senat dem drohenden Sturm; der Consul Piso aber, der Vor-
kämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände ge-
rieth, wäre sicher ein Opfer der Volkswuth geworden, wenn
nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch
unzeitige Frevelthaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu
stellen, den Consul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbit-
terung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung
in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen zum Theil
ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel daſs Lucius Lucullus die
ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder theils in Rom zins-
bar belegt, theils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache
des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daſs der Senat
dem ‚zweiten Romulus‘, wie man Pompeius nannte, das Schick-
sal des ersten * zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber
kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt
stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren
alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte,
mit Menschen bedeckt. Sämmtliche Collegen des Gabinius hat-
ten dem Senat die Intercession zugesagt; aber den brausenden
Wogen der Massen gegenüber schwiegen sie alle bis auf den ein-
zigen Lucius Trebellius, der es sich und dem Senat geschworen
hatte lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser intercedirte,
unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetz-
vorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke: mit sei-
nem widerstrebenden Collegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius
Gracchus Antrag mit dem Octavius verfahren war (II. 82), das
heiſst ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt
und die Verlesung der Stimmtafeln begann; die ersten siebzehn
Bezirke, die zur Verlesung kamen, erklärten sich für den Antrag
und die nächste bejahende Stimme gab demselben die Majorität.

* Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in
Stücke
zerrissen.
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[103/0113] STURZ DER OLIGARCHIE. kratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rech- ten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Anträge in der Curie sich zeigte, fehlte nicht viel, daſs ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hät- ten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvortheilhaft diese Methode zu argumentiren für sie ablaufen muſste. Der Tri- bun entkam auf den Markt und rief die Menge auf das Rathhaus zu stürmen. Die rechtzeitige Aufhebung der Sitzung entzog den Senat dem drohenden Sturm; der Consul Piso aber, der Vor- kämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände ge- rieth, wäre sicher ein Opfer der Volkswuth geworden, wenn nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch unzeitige Frevelthaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Consul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbit- terung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen zum Theil ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel daſs Lucius Lucullus die ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder theils in Rom zins- bar belegt, theils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daſs der Senat dem ‚zweiten Romulus‘, wie man Pompeius nannte, das Schick- sal des ersten * zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Sämmtliche Collegen des Gabinius hat- ten dem Senat die Intercession zugesagt; aber den brausenden Wogen der Massen gegenüber schwiegen sie alle bis auf den ein- zigen Lucius Trebellius, der es sich und dem Senat geschworen hatte lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser intercedirte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetz- vorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke: mit sei- nem widerstrebenden Collegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus Antrag mit dem Octavius verfahren war (II. 82), das heiſst ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, erklärten sich für den Antrag und die nächste bejahende Stimme gab demselben die Majorität. * Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in Stücke zerrissen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/113>, abgerufen am 23.11.2024.