Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Gallien durch ihren Einfluss die Hegemonie von den Arvernernauf die Haeduer übertragen. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich, dass man versuchte bei dem einen vor dem andern Schutz zu finden. Wenn die eine Keltenpartei den Römern sich anschloss, so suchten ihre Gegner natürlicher Weise dagegen ein Gegengewicht in dem Bunde mit den Deutschen. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Cultur sich dem stamm- fremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besancon) an der Spitze der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache gegen die sie zunächst bedrohenden Römer die Hülfe der Deut- schen eben jetzt herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, liessen gerade die- sen Moment als geeignet erscheinen um des römischen Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Clienten, die Haeduer zu demüthigen. Ueber die Zölle auf der Saone, die das Gebiet der Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 hatte der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Con- dottier der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im Ganzen waren die Ergebnisse den Haeduern ungünstig. Ihr Führer Epo- redorix bot endlich die ganze Clientel auf und zog mit unge- heurer Uebermacht aus gegen die Germanen; allein diese ver- weigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern, bis die Clans, des Harrens müde, an- fingen aufzubrechen und sich aufzulösen. Jetzt erschienen die Deutschen in freiem Felde; bei Admagetobriga erzwang Ariovist die Schlacht, in der die Blüthe der Ritterschaft der Haeduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwun- gen auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schliessen, mussten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Clientel der Sequaner sich fügen, auch sich anheischig machen den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adlichen FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Gallien durch ihren Einfluſs die Hegemonie von den Arvernernauf die Haeduer übertragen. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich, daſs man versuchte bei dem einen vor dem andern Schutz zu finden. Wenn die eine Keltenpartei den Römern sich anschloſs, so suchten ihre Gegner natürlicher Weise dagegen ein Gegengewicht in dem Bunde mit den Deutschen. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Cultur sich dem stamm- fremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besancon) an der Spitze der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache gegen die sie zunächst bedrohenden Römer die Hülfe der Deut- schen eben jetzt herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, lieſsen gerade die- sen Moment als geeignet erscheinen um des römischen Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Clienten, die Haeduer zu demüthigen. Ueber die Zölle auf der Saone, die das Gebiet der Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 hatte der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Con- dottier der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im Ganzen waren die Ergebnisse den Haeduern ungünstig. Ihr Führer Epo- redorix bot endlich die ganze Clientel auf und zog mit unge- heurer Uebermacht aus gegen die Germanen; allein diese ver- weigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern, bis die Clans, des Harrens müde, an- fingen aufzubrechen und sich aufzulösen. Jetzt erschienen die Deutschen in freiem Felde; bei Admagetobriga erzwang Ariovist die Schlacht, in der die Blüthe der Ritterschaft der Haeduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwun- gen auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schlieſsen, muſsten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Clientel der Sequaner sich fügen, auch sich anheischig machen den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0234" n="224"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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Aber<lb/> auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt,<lb/> der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besancon) an der Spitze<lb/> der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache<lb/> gegen die sie zunächst bedrohenden Römer die Hülfe der Deut-<lb/> schen eben jetzt herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats<lb/> und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die<lb/> den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, lieſsen gerade die-<lb/> sen Moment als geeignet erscheinen um des römischen Einflusses<lb/> sich zu entledigen und zunächst deren Clienten, die Haeduer zu<lb/> demüthigen. Ueber die Zölle auf der Saone, die das Gebiet der<lb/> Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den<lb/> beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 hatte<lb/> der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Con-<lb/> dottier der Sequaner den Rhein überschritten. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Gallien durch ihren Einfluſs die Hegemonie von den Arvernern
auf die Haeduer übertragen. Allein wenn den Griechen nur von
einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich
die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war
natürlich, daſs man versuchte bei dem einen vor dem andern
Schutz zu finden. Wenn die eine Keltenpartei den Römern sich
anschloſs, so suchten ihre Gegner natürlicher Weise dagegen
ein Gegengewicht in dem Bunde mit den Deutschen. Am nächsten
lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige
Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und
überdies bei ihrer minder entwickelten Cultur sich dem stamm-
fremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als
dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber
auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt,
der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besancon) an der Spitze
der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache
gegen die sie zunächst bedrohenden Römer die Hülfe der Deut-
schen eben jetzt herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats
und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die
den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, lieſsen gerade die-
sen Moment als geeignet erscheinen um des römischen Einflusses
sich zu entledigen und zunächst deren Clienten, die Haeduer zu
demüthigen. Ueber die Zölle auf der Saone, die das Gebiet der
Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den
beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 hatte
der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Con-
dottier der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog
manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im Ganzen
waren die Ergebnisse den Haeduern ungünstig. Ihr Führer Epo-
redorix bot endlich die ganze Clientel auf und zog mit unge-
heurer Uebermacht aus gegen die Germanen; allein diese ver-
weigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in
Sümpfen und Wäldern, bis die Clans, des Harrens müde, an-
fingen aufzubrechen und sich aufzulösen. Jetzt erschienen die
Deutschen in freiem Felde; bei Admagetobriga erzwang Ariovist die
Schlacht, in der die Blüthe der Ritterschaft der Haeduer auf dem
Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwun-
gen auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu
schlieſsen, muſsten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem
ganzen Anhang in die Clientel der Sequaner sich fügen, auch sich
anheischig machen den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist
Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adlichen
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/234>, abgerufen am 16.02.2025. |