Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. ward das gesammte römische Heer zum Angriff vorgeführt undauch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in lan- ger Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht un- möglich zu machen, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eige- ner Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Wage gleich; allein die Taktik der Reserven ent- schied wie so manchen andern Kampf gegen Barbaren so auch den gegen die Germanen: die dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hülfe sandte, stellte auf dem linken römischen Flügel die Schlacht wieder her. Damit war der Sieg entschie- den. Bis an den Rhein, zehn deutsche Meilen vom Schlachtfeld, ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem König, gelang es auf das andere Ufer zu entkommen (696). -- So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die itali- schen Soldaten zum ersten Mal erblickten, das römische Regi- ment sich an. Mit einer einzigen glücklichen Schlacht war auch hier die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen An- siedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand. Der Sie- ger konnte sie vernichten, aber er that es nicht. Die benachbar- ten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker wa- ren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übergesiedelten Deut- schen waren nicht bloss tapfrere Grenzhüter, sondern liessen sich auch dazu an bessere Unterthanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewachung der neuge- nommenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolirten Stellung nicht umhin konnten an der Centralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er liess den von Ariovist längs des linken Rhein- ufers angesiedelten Germanen, den Tribokkern um Strassburg, den Nemetern um Speier, den Vangionen um Worms ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an* -- Die Sueben aber, die am Mittelrhein das * Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser ger-
manischen Ansiedlungen. Dass Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansie- delte, ist desshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. 1, 51) und früher nicht vorkommen; dass ihnen Caesar ihre Sitze liess, desshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte die in Gallien be- reits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. 1, 35. 43) und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar schweigt darüber, weil er über alle FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. ward das gesammte römische Heer zum Angriff vorgeführt undauch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in lan- ger Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht un- möglich zu machen, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eige- ner Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Wage gleich; allein die Taktik der Reserven ent- schied wie so manchen andern Kampf gegen Barbaren so auch den gegen die Germanen: die dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hülfe sandte, stellte auf dem linken römischen Flügel die Schlacht wieder her. Damit war der Sieg entschie- den. Bis an den Rhein, zehn deutsche Meilen vom Schlachtfeld, ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem König, gelang es auf das andere Ufer zu entkommen (696). — So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die itali- schen Soldaten zum ersten Mal erblickten, das römische Regi- ment sich an. Mit einer einzigen glücklichen Schlacht war auch hier die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen An- siedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand. Der Sie- ger konnte sie vernichten, aber er that es nicht. Die benachbar- ten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker wa- ren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übergesiedelten Deut- schen waren nicht bloſs tapfrere Grenzhüter, sondern lieſsen sich auch dazu an bessere Unterthanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewachung der neuge- nommenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolirten Stellung nicht umhin konnten an der Centralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er lieſs den von Ariovist längs des linken Rhein- ufers angesiedelten Germanen, den Tribokkern um Straſsburg, den Nemetern um Speier, den Vangionen um Worms ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an* — Die Sueben aber, die am Mittelrhein das * Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser ger-
manischen Ansiedlungen. Daſs Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansie- delte, ist deſshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. 1, 51) und früher nicht vorkommen; daſs ihnen Caesar ihre Sitze lieſs, deſshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte die in Gallien be- reits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. 1, 35. 43) und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar schweigt darüber, weil er über alle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0244" n="234"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> ward das gesammte römische Heer zum Angriff vorgeführt und<lb/> auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in lan-<lb/> ger Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht un-<lb/> möglich zu machen, die Karren der Armee mit dem Gepäck und<lb/> den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eige-<lb/> ner Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor<lb/> sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen.<lb/> Noch stand die Wage gleich; allein die Taktik der Reserven ent-<lb/> schied wie so manchen andern Kampf gegen Barbaren so auch<lb/> den gegen die Germanen: die dritte Linie, die Publius Crassus<lb/> rechtzeitig zur Hülfe sandte, stellte auf dem linken römischen<lb/> Flügel die Schlacht wieder her. Damit war der Sieg entschie-<lb/> den. Bis an den Rhein, zehn deutsche Meilen vom Schlachtfeld,<lb/> ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem<lb/> König, gelang es auf das andere Ufer zu entkommen (696). —<lb/> So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die itali-<lb/> schen Soldaten zum ersten Mal erblickten, das römische Regi-<lb/> ment sich an. Mit einer einzigen glücklichen Schlacht war auch<lb/> hier die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen An-<lb/> siedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand. Der Sie-<lb/> ger konnte sie vernichten, aber er that es nicht. Die benachbar-<lb/> ten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker wa-<lb/> ren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übergesiedelten Deut-<lb/> schen waren nicht bloſs tapfrere Grenzhüter, sondern lieſsen<lb/> sich auch dazu an bessere Unterthanen Roms zu werden, da sie<lb/> von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen<lb/> Landsleuten das eigene Interesse an der Bewachung der neuge-<lb/> nommenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolirten Stellung<lb/> nicht umhin konnten an der Centralgewalt festzuhalten. Caesar<lb/> zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften<lb/> Freunden vor; er lieſs den von Ariovist längs des linken Rhein-<lb/> ufers angesiedelten Germanen, den Tribokkern um Straſsburg,<lb/> den Nemetern um Speier, den Vangionen um Worms ihre neuen<lb/> Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen<lb/> ihre Landsleute an<note xml:id="note-0244" next="#note-0245" place="foot" n="*">Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser ger-<lb/> manischen Ansiedlungen. Daſs Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansie-<lb/> delte, ist deſshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes.<lb/> 1, 51) und früher nicht vorkommen; daſs ihnen Caesar ihre Sitze lieſs,<lb/> deſshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte die in Gallien be-<lb/> reits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. 1, 35. 43) und weil wir sie<lb/> später in diesen Sitzen finden. Caesar schweigt darüber, weil er über alle</note><lb/> — Die Sueben aber, die am Mittelrhein das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0244]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ward das gesammte römische Heer zum Angriff vorgeführt und
auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in lan-
ger Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht un-
möglich zu machen, die Karren der Armee mit dem Gepäck und
den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eige-
ner Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor
sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen.
Noch stand die Wage gleich; allein die Taktik der Reserven ent-
schied wie so manchen andern Kampf gegen Barbaren so auch
den gegen die Germanen: die dritte Linie, die Publius Crassus
rechtzeitig zur Hülfe sandte, stellte auf dem linken römischen
Flügel die Schlacht wieder her. Damit war der Sieg entschie-
den. Bis an den Rhein, zehn deutsche Meilen vom Schlachtfeld,
ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem
König, gelang es auf das andere Ufer zu entkommen (696). —
So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die itali-
schen Soldaten zum ersten Mal erblickten, das römische Regi-
ment sich an. Mit einer einzigen glücklichen Schlacht war auch
hier die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen An-
siedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand. Der Sie-
ger konnte sie vernichten, aber er that es nicht. Die benachbar-
ten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker wa-
ren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übergesiedelten Deut-
schen waren nicht bloſs tapfrere Grenzhüter, sondern lieſsen
sich auch dazu an bessere Unterthanen Roms zu werden, da sie
von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen
Landsleuten das eigene Interesse an der Bewachung der neuge-
nommenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolirten Stellung
nicht umhin konnten an der Centralgewalt festzuhalten. Caesar
zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften
Freunden vor; er lieſs den von Ariovist längs des linken Rhein-
ufers angesiedelten Germanen, den Tribokkern um Straſsburg,
den Nemetern um Speier, den Vangionen um Worms ihre neuen
Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen
ihre Landsleute an *
— Die Sueben aber, die am Mittelrhein das
* Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser ger-
manischen Ansiedlungen. Daſs Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansie-
delte, ist deſshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes.
1, 51) und früher nicht vorkommen; daſs ihnen Caesar ihre Sitze lieſs,
deſshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte die in Gallien be-
reits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. 1, 35. 43) und weil wir sie
später in diesen Sitzen finden. Caesar schweigt darüber, weil er über alle
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