Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. sehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhän-gigen Keltengaus von den Römern getödtet worden war, war ein Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder der sich ähn- licher Gesinnung bewusst war -- und es war dies die ungeheure Majorität -- sah in seiner Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn die patriotische Begeisterung die Ver- schwörung hervorgerufen hatte, so trieb jetzt Furcht und Noth- wehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/1 lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesammte römische Heer, sieben Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräthe hatte Cae- sar bewogen eine weitere Auseinanderlegung der Truppen zu ge- statten, als er sonst zu thun pflegte; das Heer war vertheilt in sechs verschiedene Lager in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Remer und Eburonen. In dem letzten und östlichsten dieser Lager, bei Aduatuca (wahrscheinlich Tongern) im eburonischen Gebiet, standen unter Quintus Titurius Sabinus eine unvollzählige alte und eine vollzählige erst vor wenigen Jah- ren ausgehobene Legion. Urplötzlich fand sich dies Lager von dem Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Cati- volcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, dass die eben abwesenden Detachements nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht gross, da es an Vorräthen nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Ver- schanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete dem römischen Befehlshaber, dass die sämmtlichen römischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Corps nicht rasch aufbrächen und mit einander sich vereinigten; dass Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; dass er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten nur zwei Tagemärsche entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; es war in der That unglaublich, dass der kleine von den Römern besonders begünstigte (S. 238) Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe; nichts desto weniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot den vom Feinde angebotenen freien Ab- zug zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszu- DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. sehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhän-gigen Keltengaus von den Römern getödtet worden war, war ein Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder der sich ähn- licher Gesinnung bewuſst war — und es war dies die ungeheure Majorität — sah in seiner Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn die patriotische Begeisterung die Ver- schwörung hervorgerufen hatte, so trieb jetzt Furcht und Noth- wehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/1 lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesammte römische Heer, sieben Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräthe hatte Cae- sar bewogen eine weitere Auseinanderlegung der Truppen zu ge- statten, als er sonst zu thun pflegte; das Heer war vertheilt in sechs verschiedene Lager in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Remer und Eburonen. In dem letzten und östlichsten dieser Lager, bei Aduatuca (wahrscheinlich Tongern) im eburonischen Gebiet, standen unter Quintus Titurius Sabinus eine unvollzählige alte und eine vollzählige erst vor wenigen Jah- ren ausgehobene Legion. Urplötzlich fand sich dies Lager von dem Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Cati- volcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daſs die eben abwesenden Detachements nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht groſs, da es an Vorräthen nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Ver- schanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete dem römischen Befehlshaber, daſs die sämmtlichen römischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Corps nicht rasch aufbrächen und mit einander sich vereinigten; daſs Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; daſs er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten nur zwei Tagemärsche entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; es war in der That unglaublich, daſs der kleine von den Römern besonders begünstigte (S. 238) Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe; nichts desto weniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daſs sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot den vom Feinde angebotenen freien Ab- zug zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0259" n="249"/><fw place="top" type="header">DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.</fw><lb/> sehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhän-<lb/> gigen Keltengaus von den Römern getödtet worden war, war ein<lb/> Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder der sich ähn-<lb/> licher Gesinnung bewuſst war — und es war dies die ungeheure<lb/> Majorität — sah in seiner Katastrophe das Bild dessen, was ihm<lb/> selber bevorstand. 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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
sehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhän-
gigen Keltengaus von den Römern getödtet worden war, war ein
Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder der sich ähn-
licher Gesinnung bewuſst war — und es war dies die ungeheure
Majorität — sah in seiner Katastrophe das Bild dessen, was ihm
selber bevorstand. Wenn die patriotische Begeisterung die Ver-
schwörung hervorgerufen hatte, so trieb jetzt Furcht und Noth-
wehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/1
lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in
den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten
Legion, das gesammte römische Heer, sieben Legionen stark, im
belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräthe hatte Cae-
sar bewogen eine weitere Auseinanderlegung der Truppen zu ge-
statten, als er sonst zu thun pflegte; das Heer war vertheilt in
sechs verschiedene Lager in den Gauen der Bellovaker, Ambianer,
Moriner, Nervier, Remer und Eburonen. In dem letzten und
östlichsten dieser Lager, bei Aduatuca (wahrscheinlich Tongern)
im eburonischen Gebiet, standen unter Quintus Titurius Sabinus
eine unvollzählige alte und eine vollzählige erst vor wenigen Jah-
ren ausgehobene Legion. Urplötzlich fand sich dies Lager von dem
Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Cati-
volcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daſs die eben
abwesenden Detachements nicht einberufen werden konnten und
von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die
Gefahr nicht groſs, da es an Vorräthen nicht mangelte und der
Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Ver-
schanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete
dem römischen Befehlshaber, daſs die sämmtlichen römischen
Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen
und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen
Corps nicht rasch aufbrächen und mit einander sich vereinigten;
daſs Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn
auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien;
daſs er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug
bis zu dem nächsten nur zwei Tagemärsche entfernten römischen
Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden;
es war in der That unglaublich, daſs der kleine von den Römern
besonders begünstigte (S. 238) Gau der Eburonen den Angriff
auf eigene Hand unternommen habe; nichts desto weniger konnte
es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daſs sowohl die Ehre
wie die Klugheit gebot den vom Feinde angebotenen freien Ab-
zug zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszu-
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