Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. inneren Deutschland einen nachdrücklichen Schlag zu führen.Allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesvertheidigung sammelten, so kehrte Caesar so- gleich wieder um und begnügte sich an dem Rheinübergang Be- satzung zurückzulassen. Mit den sämmtlichen an dem Aufstand betheiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburo- nen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauer- gewand und hatte geschworen erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben werde. Rath- und thatlos sassen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen. Plötzlich rückte die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen unvermuthet in ihr Land und hätte fast den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen; während sein Ge- folge für ihn sich aufopferte, entkam er mit genauer Noth in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Auffor- derung mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogel- freien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht Wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseit des Rheines eine kecke Schaar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machten wie den Eburonen und fast durch einen kecken Angriff das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt hätten. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren mehr als des Wildes; mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fürst Cativolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit. Aber unter diesen war der Mann, auf den die Römer vor allem fahndeten, der Fürst Ambiorix; mit nur vier Reitern entrann er über den Rhein. Auf diese Execution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den andern Landschaften die Hochverrathprozesse gegen die Einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Proconsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Lictoren enthauptet (701) und die Herrschaft der Ruthen und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte; überall herrschte Ruhe. Caesar ging wie er pflegte im Spätjahr 701 über die Al- pen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickeln- den Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten. DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. inneren Deutschland einen nachdrücklichen Schlag zu führen.Allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesvertheidigung sammelten, so kehrte Caesar so- gleich wieder um und begnügte sich an dem Rheinübergang Be- satzung zurückzulassen. Mit den sämmtlichen an dem Aufstand betheiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburo- nen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauer- gewand und hatte geschworen erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben werde. Rath- und thatlos saſsen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen. Plötzlich rückte die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen unvermuthet in ihr Land und hätte fast den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen; während sein Ge- folge für ihn sich aufopferte, entkam er mit genauer Noth in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Auffor- derung mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogel- freien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht Wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseit des Rheines eine kecke Schaar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machten wie den Eburonen und fast durch einen kecken Angriff das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt hätten. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren mehr als des Wildes; mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fürst Cativolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit. Aber unter diesen war der Mann, auf den die Römer vor allem fahndeten, der Fürst Ambiorix; mit nur vier Reitern entrann er über den Rhein. Auf diese Execution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den andern Landschaften die Hochverrathprozesse gegen die Einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Proconsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Lictoren enthauptet (701) und die Herrschaft der Ruthen und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte; überall herrschte Ruhe. Caesar ging wie er pflegte im Spätjahr 701 über die Al- pen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickeln- den Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0263" n="253"/><fw place="top" type="header">DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.</fw><lb/> inneren Deutschland einen nachdrücklichen Schlag zu führen.<lb/> Allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht<lb/> an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am<lb/> Harz, zur Landesvertheidigung sammelten, so kehrte Caesar so-<lb/> gleich wieder um und begnügte sich an dem Rheinübergang Be-<lb/> satzung zurückzulassen. Mit den sämmtlichen an dem Aufstand<lb/> betheiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburo-<lb/> nen waren übergangen, aber nicht vergessen. 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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
inneren Deutschland einen nachdrücklichen Schlag zu führen.
Allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht
an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am
Harz, zur Landesvertheidigung sammelten, so kehrte Caesar so-
gleich wieder um und begnügte sich an dem Rheinübergang Be-
satzung zurückzulassen. Mit den sämmtlichen an dem Aufstand
betheiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburo-
nen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die
Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauer-
gewand und hatte geschworen erst dann es abzulegen, wenn er
seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch
ermordeten Soldaten gerächt haben werde. Rath- und thatlos
saſsen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer
nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen.
Plötzlich rückte die römische Reiterei vom treverischen Gebiet
aus durch die Ardennen unvermuthet in ihr Land und hätte fast
den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen; während sein Ge-
folge für ihn sich aufopferte, entkam er mit genauer Noth in das
nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen.
Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Auffor-
derung mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogel-
freien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht
Wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseit des Rheines eine
kecke Schaar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern
nicht besser machten wie den Eburonen und fast durch einen
kecken Angriff das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt
hätten. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie
auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren
mehr als des Wildes; mancher gab sich selbst den Tod wie der
greise Fürst Cativolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit.
Aber unter diesen war der Mann, auf den die Römer vor allem
fahndeten, der Fürst Ambiorix; mit nur vier Reitern entrann er
über den Rhein. Auf diese Execution gegen den Gau, der vor
allen andern gefrevelt, folgten in den andern Landschaften die
Hochverrathprozesse gegen die Einzelnen. Die Zeit der Milde
war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Proconsuls ward
der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Lictoren
enthauptet (701) und die Herrschaft der Ruthen und Beile damit
förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte; überall herrschte
Ruhe. Caesar ging wie er pflegte im Spätjahr 701 über die Al-
pen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickeln-
den Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.
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