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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und
gleichfalls in die biturigische Landschaft einrückte, in der die
neue Kriegführung zuerst sich erproben sollte. Auf seine Anord-
nung gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der
Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung erging
über die benachbarten Gaue, so weit sie von römischen Streif-
partien erreicht werden konnten. Nach Vercingetorix Absicht
sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avari-
cum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität
des Kriegsraths gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Be-
hörden nach und beschloss die Stadt vielmehr mit allem Nach-
druck zu vertheidigen. So concentrirte sich der Krieg zunächst
um diese Stadt. Vercingetorix stellte sein Fussvolk zwischen den
der Stadt benachbarten Sümpfen in einer so unnahbaren Stel-
lung auf, dass es auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein den
Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische
Reiterei bedeckte alle Strassen und hemmte die Communication.
Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee
vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage
war sehr schwierig. Der Versuch das keltische Fussvolk zum
Schlagen zu bringen misslang; es rührte sich nicht aus seinen
unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Sol-
daten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit
ihnen an Erfindsamkeit und Muth und fast wäre es ihnen gelun-
gen das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei
ward die Aufgabe ein Heer von beiläufig 80000 Mann in einer
weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen
durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen täglich
schwieriger. Die geringen Vorräthe der Boier waren bald ver-
braucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus;
schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschliesslich
auf Fleischrationen gesetzt. Indess rückte der Augenblick heran,
wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte,
nicht länger gehalten werden konnte. Noch war es nicht unmög-
lich die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszu-
ziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte.
Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei,
das im Augenblick des Abmarsches die Weiber und Kinder in
der Stadt erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug
misslang; an dem folgenden trüben und regnichten Tage über-
stiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die
hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und
gleichfalls in die biturigische Landschaft einrückte, in der die
neue Kriegführung zuerst sich erproben sollte. Auf seine Anord-
nung gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der
Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung erging
über die benachbarten Gaue, so weit sie von römischen Streif-
partien erreicht werden konnten. Nach Vercingetorix Absicht
sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avari-
cum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität
des Kriegsraths gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Be-
hörden nach und beschloſs die Stadt vielmehr mit allem Nach-
druck zu vertheidigen. So concentrirte sich der Krieg zunächst
um diese Stadt. Vercingetorix stellte sein Fuſsvolk zwischen den
der Stadt benachbarten Sümpfen in einer so unnahbaren Stel-
lung auf, daſs es auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein den
Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische
Reiterei bedeckte alle Straſsen und hemmte die Communication.
Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee
vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage
war sehr schwierig. Der Versuch das keltische Fuſsvolk zum
Schlagen zu bringen miſslang; es rührte sich nicht aus seinen
unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Sol-
daten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit
ihnen an Erfindsamkeit und Muth und fast wäre es ihnen gelun-
gen das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei
ward die Aufgabe ein Heer von beiläufig 80000 Mann in einer
weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen
durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen täglich
schwieriger. Die geringen Vorräthe der Boier waren bald ver-
braucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus;
schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschlieſslich
auf Fleischrationen gesetzt. Indeſs rückte der Augenblick heran,
wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte,
nicht länger gehalten werden konnte. Noch war es nicht unmög-
lich die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszu-
ziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte.
Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei,
das im Augenblick des Abmarsches die Weiber und Kinder in
der Stadt erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug
miſslang; an dem folgenden trüben und regnichten Tage über-
stiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die
hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht

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[258/0268] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls in die biturigische Landschaft einrückte, in der die neue Kriegführung zuerst sich erproben sollte. Auf seine Anord- nung gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung erging über die benachbarten Gaue, so weit sie von römischen Streif- partien erreicht werden konnten. Nach Vercingetorix Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avari- cum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität des Kriegsraths gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Be- hörden nach und beschloſs die Stadt vielmehr mit allem Nach- druck zu vertheidigen. So concentrirte sich der Krieg zunächst um diese Stadt. Vercingetorix stellte sein Fuſsvolk zwischen den der Stadt benachbarten Sümpfen in einer so unnahbaren Stel- lung auf, daſs es auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein den Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Straſsen und hemmte die Communication. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch das keltische Fuſsvolk zum Schlagen zu bringen miſslang; es rührte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Sol- daten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Muth und fast wäre es ihnen gelun- gen das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe ein Heer von beiläufig 80000 Mann in einer weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen täglich schwieriger. Die geringen Vorräthe der Boier waren bald ver- braucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschlieſslich auf Fleischrationen gesetzt. Indeſs rückte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte, nicht länger gehalten werden konnte. Noch war es nicht unmög- lich die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszu- ziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die Weiber und Kinder in der Stadt erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug miſslang; an dem folgenden trüben und regnichten Tage über- stiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/268>, abgerufen am 27.11.2024.