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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
stand zu seinem ehemaligen Adjutanten genau wie nach den
gabinisch-manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden
hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr
der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals be-
rühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und
Schwiegersohn noch zu keiner Collision gekommen und das
Verhältniss äusserlich ungetrübt; aber jedes politische Bünd-
niss ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältniss der Con-
trahenten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clo-
dius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung
Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: eben wie einst
Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so hatte jetzt er zu
suchen, wie er gegen Caesar ein Fundament reeller Macht ge-
winne. Er war genöthigt seine stolze Amtlosigkeit bei Seite zu
legen und als Bewerber um irgend ein ausserordentliches Amt
aufzutreten, das ihn in den Stand setzte dem Statthalter der bei-
den Gallien mit gleicher und wo möglich mit überlegener Macht
zur Seite zu bleiben. Wie Pompeius gegenwärtige Stellung der-
jenigen glich, die Caesar während des mithradatischen Krieges
eingenommen hatte, so war auch seine Taktik dieselbe. Um sel-
ber ohnmächtig gegen den übermächtigen, aber noch passiven
Gegner eine effective Macht zu gewinnen, musste Pompeius zu-
nächst suchen sich in den Besitz der formellen Regierungs-
maschine zu setzen. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie unbedingt
ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber regierten Rom
damals durch die Comitien, die ihnen als den Herren der Strasse
unbedingt gehorchten, und durch den von Caesar energisch ter-
rorisirten Senat; als Vertreter der Coalition in Rom und als
deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von
der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluss erlangt, den er
wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein
durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die
Strassenherrschaft eingebüsst und konnte nicht daran denken
einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durch-
zusetzen. Auch im Senat war es zweifelhaft, ob Pompeius nach
dieser langen und verhängnissvollen Passivität die Zügel der Ma-
jorität noch fest genug in der Hand habe um einen solchen Be-
schluss durchzusetzen; indess war hier wenigstens noch nicht
alle Aussicht auf Erfolg verschwunden.

Aber die Stellung des Senats oder vielmehr der Nobilität
überhaupt war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer
vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
stand zu seinem ehemaligen Adjutanten genau wie nach den
gabinisch-manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden
hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr
der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals be-
rühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und
Schwiegersohn noch zu keiner Collision gekommen und das
Verhältniſs äuſserlich ungetrübt; aber jedes politische Bünd-
niſs ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältniſs der Con-
trahenten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clo-
dius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung
Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: eben wie einst
Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so hatte jetzt er zu
suchen, wie er gegen Caesar ein Fundament reeller Macht ge-
winne. Er war genöthigt seine stolze Amtlosigkeit bei Seite zu
legen und als Bewerber um irgend ein auſserordentliches Amt
aufzutreten, das ihn in den Stand setzte dem Statthalter der bei-
den Gallien mit gleicher und wo möglich mit überlegener Macht
zur Seite zu bleiben. Wie Pompeius gegenwärtige Stellung der-
jenigen glich, die Caesar während des mithradatischen Krieges
eingenommen hatte, so war auch seine Taktik dieselbe. Um sel-
ber ohnmächtig gegen den übermächtigen, aber noch passiven
Gegner eine effective Macht zu gewinnen, muſste Pompeius zu-
nächst suchen sich in den Besitz der formellen Regierungs-
maschine zu setzen. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie unbedingt
ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber regierten Rom
damals durch die Comitien, die ihnen als den Herren der Straſse
unbedingt gehorchten, und durch den von Caesar energisch ter-
rorisirten Senat; als Vertreter der Coalition in Rom und als
deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von
der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluſs erlangt, den er
wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein
durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die
Straſsenherrschaft eingebüſst und konnte nicht daran denken
einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durch-
zusetzen. Auch im Senat war es zweifelhaft, ob Pompeius nach
dieser langen und verhängniſsvollen Passivität die Zügel der Ma-
jorität noch fest genug in der Hand habe um einen solchen Be-
schluſs durchzusetzen; indeſs war hier wenigstens noch nicht
alle Aussicht auf Erfolg verschwunden.

Aber die Stellung des Senats oder vielmehr der Nobilität
überhaupt war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer
vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war

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[284/0294] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. stand zu seinem ehemaligen Adjutanten genau wie nach den gabinisch-manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals be- rühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Collision gekommen und das Verhältniſs äuſserlich ungetrübt; aber jedes politische Bünd- niſs ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältniſs der Con- trahenten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clo- dius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: eben wie einst Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so hatte jetzt er zu suchen, wie er gegen Caesar ein Fundament reeller Macht ge- winne. Er war genöthigt seine stolze Amtlosigkeit bei Seite zu legen und als Bewerber um irgend ein auſserordentliches Amt aufzutreten, das ihn in den Stand setzte dem Statthalter der bei- den Gallien mit gleicher und wo möglich mit überlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie Pompeius gegenwärtige Stellung der- jenigen glich, die Caesar während des mithradatischen Krieges eingenommen hatte, so war auch seine Taktik dieselbe. Um sel- ber ohnmächtig gegen den übermächtigen, aber noch passiven Gegner eine effective Macht zu gewinnen, muſste Pompeius zu- nächst suchen sich in den Besitz der formellen Regierungs- maschine zu setzen. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie unbedingt ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber regierten Rom damals durch die Comitien, die ihnen als den Herren der Straſse unbedingt gehorchten, und durch den von Caesar energisch ter- rorisirten Senat; als Vertreter der Coalition in Rom und als deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluſs erlangt, den er wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Straſsenherrschaft eingebüſst und konnte nicht daran denken einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durch- zusetzen. Auch im Senat war es zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen und verhängniſsvollen Passivität die Zügel der Ma- jorität noch fest genug in der Hand habe um einen solchen Be- schluſs durchzusetzen; indeſs war hier wenigstens noch nicht alle Aussicht auf Erfolg verschwunden. Aber die Stellung des Senats oder vielmehr der Nobilität überhaupt war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/294>, abgerufen am 01.06.2024.