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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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täten erklärt hatten (S. 333), sahen sie sich jetzt in die Noth-
wendigkeit versetzt die verfassungsmässigen Entscheidungen des
Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legi-
time Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen,
sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch
zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen
hatten auch Sulla (II, 323) und Lucullus (S. 57) jeden im rech-
ten Interesse der Regierung gefassten energischen Entschluss
derselben über den Kopf nehmen müssen; die Verfassungsma-
schine war eben vollständig abgenutzt und wie seit Jahrhunder-
ten die Comitien, so war jetzt auch der Senat nichts als ein lah-
mes aus dem Geleise weichendes Rad. -- Es ging die Rede, dass
Caesar vier Legionen aus dem jenseitigen in das diesseitige Gal-
lien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese
Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters
lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit dieses Ge-
rüchts im Senat handgreiflich darthat und die Curie den Antrag
des Consuls, darauf hin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu
ertheilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der Con-
sul des laufenden Jahres Gaius Marcellus in Verbindung mit den
beiden für 705 erwählten gleichfalls zur catonischen Partei ge-
hörigen Consuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten
kraft eigener Machtvollkommenheit den General sich an die
Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und
nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen
zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bür-
gerkrieges liess schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit
mehr auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius
nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen began-
nen; um sie persönlich zu fördern verliess Pompeius im Decem-
ber 704 die Hauptstadt.

Caesar musste lange erkannt haben, dass der in erster Li-
nie verfolgte Plan: auf friedlichem Wege das Consulat für 706
zu erlangen und von da aus der Alleinherrschaft sich zu be-
mächtigen, von Pompeius durchschaut und vereitelt war. Er
war darauf gefasst und längst entschlossen in diesem Fall den
Handschuh zwar nicht hinzuwerfen, aber wohl ihn aufzuheben,
wenn er hingeworfen ward. Dies war also geschehen und Cae-
sar hatte es vollständig erreicht den Gegnern die Initiative des
Bürgerkrieges zuzuschieben. Zwar täuschte der Instinct der
Massen sich darüber keinen Augenblick, dass es in diesem Krieg
sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen;

Röm. Gesch. III. 22

DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
täten erklärt hatten (S. 333), sahen sie sich jetzt in die Noth-
wendigkeit versetzt die verfassungsmäſsigen Entscheidungen des
Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legi-
time Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen,
sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch
zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen
hatten auch Sulla (II, 323) und Lucullus (S. 57) jeden im rech-
ten Interesse der Regierung gefaſsten energischen Entschluſs
derselben über den Kopf nehmen müssen; die Verfassungsma-
schine war eben vollständig abgenutzt und wie seit Jahrhunder-
ten die Comitien, so war jetzt auch der Senat nichts als ein lah-
mes aus dem Geleise weichendes Rad. — Es ging die Rede, daſs
Caesar vier Legionen aus dem jenseitigen in das diesseitige Gal-
lien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese
Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters
lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit dieses Ge-
rüchts im Senat handgreiflich darthat und die Curie den Antrag
des Consuls, darauf hin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu
ertheilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der Con-
sul des laufenden Jahres Gaius Marcellus in Verbindung mit den
beiden für 705 erwählten gleichfalls zur catonischen Partei ge-
hörigen Consuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten
kraft eigener Machtvollkommenheit den General sich an die
Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und
nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen
zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bür-
gerkrieges lieſs schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit
mehr auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius
nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen began-
nen; um sie persönlich zu fördern verlieſs Pompeius im Decem-
ber 704 die Hauptstadt.

Caesar muſste lange erkannt haben, daſs der in erster Li-
nie verfolgte Plan: auf friedlichem Wege das Consulat für 706
zu erlangen und von da aus der Alleinherrschaft sich zu be-
mächtigen, von Pompeius durchschaut und vereitelt war. Er
war darauf gefaſst und längst entschlossen in diesem Fall den
Handschuh zwar nicht hinzuwerfen, aber wohl ihn aufzuheben,
wenn er hingeworfen ward. Dies war also geschehen und Cae-
sar hatte es vollständig erreicht den Gegnern die Initiative des
Bürgerkrieges zuzuschieben. Zwar täuschte der Instinct der
Massen sich darüber keinen Augenblick, daſs es in diesem Krieg
sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen;

Röm. Gesch. III. 22
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[337/0347] DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER. täten erklärt hatten (S. 333), sahen sie sich jetzt in die Noth- wendigkeit versetzt die verfassungsmäſsigen Entscheidungen des Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legi- time Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen hatten auch Sulla (II, 323) und Lucullus (S. 57) jeden im rech- ten Interesse der Regierung gefaſsten energischen Entschluſs derselben über den Kopf nehmen müssen; die Verfassungsma- schine war eben vollständig abgenutzt und wie seit Jahrhunder- ten die Comitien, so war jetzt auch der Senat nichts als ein lah- mes aus dem Geleise weichendes Rad. — Es ging die Rede, daſs Caesar vier Legionen aus dem jenseitigen in das diesseitige Gal- lien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit dieses Ge- rüchts im Senat handgreiflich darthat und die Curie den Antrag des Consuls, darauf hin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu ertheilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der Con- sul des laufenden Jahres Gaius Marcellus in Verbindung mit den beiden für 705 erwählten gleichfalls zur catonischen Partei ge- hörigen Consuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den General sich an die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bür- gerkrieges lieſs schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen began- nen; um sie persönlich zu fördern verlieſs Pompeius im Decem- ber 704 die Hauptstadt. Caesar muſste lange erkannt haben, daſs der in erster Li- nie verfolgte Plan: auf friedlichem Wege das Consulat für 706 zu erlangen und von da aus der Alleinherrschaft sich zu be- mächtigen, von Pompeius durchschaut und vereitelt war. Er war darauf gefaſst und längst entschlossen in diesem Fall den Handschuh zwar nicht hinzuwerfen, aber wohl ihn aufzuheben, wenn er hingeworfen ward. Dies war also geschehen und Cae- sar hatte es vollständig erreicht den Gegnern die Initiative des Bürgerkrieges zuzuschieben. Zwar täuschte der Instinct der Massen sich darüber keinen Augenblick, daſs es in diesem Krieg sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen; Röm. Gesch. III. 22

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/347>, abgerufen am 16.06.2024.