Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.ILERDA. lagerer bis an die Mauer vor und einer der Thürme stürzte zu-sammen. Die Massalioten erklärten, dass sie die Vertheidigung aufgäben, aber mit Caesar selbst die Capitulation abzuschliessen wünschten; wesshalb sie den römischen Befehlshaber ersuchten bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Tre- bonius hatte von Caesar gemessenen Befehl die Stadt so weit irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffen- stillstand. Allein die Massalioten benutzten ihn zu einem tücki- schen Ausfall, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten römischen Werke vollständig niederbrannten. So begann von Neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender Schnelligkeit die vernichteten Thürme und den Damm wieder her; bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen. Als Caesar von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend vor ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe theils durch die feindlichen Angriffe, theils durch Hunger und Seuchen aufs Aeusserste ge- bracht und zum zweiten Mal, und dieses Mal ernstlich, bereit auf jede Bedingung zu capituliren; nur Domitius, der schmählich missbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg ein Schiff und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unver- söhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Sol- daten hatten geschworen die ganze männliche Bevölkerung der treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und for- derten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plün- derung. Allein Caesar, seiner grossen Aufgabe die hellenisch-ita- lische Civilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk, liess sich nicht zwingen die Fortsetzung zu der Zerstörung Ko- rinths zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimath am weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie sie denn auch die letzte griechische Stadt gewesen ist, die zur See geschlagen hat -- Massalia musste zwar seine Waf- fen- und Flottenvorräthe an den Sieger abliefern und verlor einen Theil seines seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in geschmälerten Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittel- punct der hellenischen Cultur in der fernen eben jetzt zu neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft. Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach Röm. Gesch. III. 24
ILERDA. lagerer bis an die Mauer vor und einer der Thürme stürzte zu-sammen. Die Massalioten erklärten, daſs sie die Vertheidigung aufgäben, aber mit Caesar selbst die Capitulation abzuschlieſsen wünschten; weſshalb sie den römischen Befehlshaber ersuchten bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Tre- bonius hatte von Caesar gemessenen Befehl die Stadt so weit irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffen- stillstand. Allein die Massalioten benutzten ihn zu einem tücki- schen Ausfall, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten römischen Werke vollständig niederbrannten. So begann von Neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender Schnelligkeit die vernichteten Thürme und den Damm wieder her; bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen. Als Caesar von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend vor ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe theils durch die feindlichen Angriffe, theils durch Hunger und Seuchen aufs Aeuſserste ge- bracht und zum zweiten Mal, und dieses Mal ernstlich, bereit auf jede Bedingung zu capituliren; nur Domitius, der schmählich miſsbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg ein Schiff und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unver- söhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Sol- daten hatten geschworen die ganze männliche Bevölkerung der treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und for- derten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plün- derung. Allein Caesar, seiner groſsen Aufgabe die hellenisch-ita- lische Civilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk, lieſs sich nicht zwingen die Fortsetzung zu der Zerstörung Ko- rinths zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimath am weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie sie denn auch die letzte griechische Stadt gewesen ist, die zur See geschlagen hat — Massalia muſste zwar seine Waf- fen- und Flottenvorräthe an den Sieger abliefern und verlor einen Theil seines seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in geschmälerten Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittel- punct der hellenischen Cultur in der fernen eben jetzt zu neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft. Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach Röm. Gesch. III. 24
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ILERDA.
lagerer bis an die Mauer vor und einer der Thürme stürzte zu-
sammen. Die Massalioten erklärten, daſs sie die Vertheidigung
aufgäben, aber mit Caesar selbst die Capitulation abzuschlieſsen
wünschten; weſshalb sie den römischen Befehlshaber ersuchten
bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Tre-
bonius hatte von Caesar gemessenen Befehl die Stadt so weit
irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffen-
stillstand. Allein die Massalioten benutzten ihn zu einem tücki-
schen Ausfall, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten
römischen Werke vollständig niederbrannten. So begann von
Neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf.
Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender
Schnelligkeit die vernichteten Thürme und den Damm wieder her;
bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen.
Als Caesar von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend vor
ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe theils durch die feindlichen
Angriffe, theils durch Hunger und Seuchen aufs Aeuſserste ge-
bracht und zum zweiten Mal, und dieses Mal ernstlich, bereit auf
jede Bedingung zu capituliren; nur Domitius, der schmählich
miſsbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg ein Schiff
und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unver-
söhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Sol-
daten hatten geschworen die ganze männliche Bevölkerung der
treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und for-
derten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plün-
derung. Allein Caesar, seiner groſsen Aufgabe die hellenisch-ita-
lische Civilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk,
lieſs sich nicht zwingen die Fortsetzung zu der Zerstörung Ko-
rinths zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien
und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die
von der Heimath am weitesten entfernte und fast die letzte, in der
das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten
hatte, wie sie denn auch die letzte griechische Stadt gewesen ist,
die zur See geschlagen hat — Massalia muſste zwar seine Waf-
fen- und Flottenvorräthe an den Sieger abliefern und verlor einen
Theil seines seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in
geschmälerten Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine
Freiheit und Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittel-
punct der hellenischen Cultur in der fernen eben jetzt zu neuer
geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.
Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach
manchen bedenklichen Wechselfällen schlieſslich sich durchaus zu
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