daner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682. 683) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama oder Philippopolis (Adrianopel) und zwang sie der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen Sadalas und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kal- latis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden ab- hängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmässiger Theil der Provinz Makedonien.
Aber weit nachtheiliger als die immer doch auf einen ge- ringen Theil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die Einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisirte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Producte aus- noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangel an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine grosse Anzahl angesehener Römer wurde von den Corsaren auf- gebracht und musste mit schweren Summen sich ranzioniren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten be- stimmten römischen Truppenabtheilungen fingen an ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die frei- lich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere ver- schwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Corsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie entweder mit grossen Summen sich loszu- kaufen oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mi- thradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Pi- raten ausgeraubt wurden (670), so kann man sich denken, wie es dann ging, wenn weder eine römische Flotte noch ein römi- sches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel
FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
daner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682. 683) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama oder Philippopolis (Adrianopel) und zwang sie der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen Sadalas und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kal- latis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden ab- hängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäſsiger Theil der Provinz Makedonien.
Aber weit nachtheiliger als die immer doch auf einen ge- ringen Theil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die Einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisirte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Producte aus- noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangel an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine groſse Anzahl angesehener Römer wurde von den Corsaren auf- gebracht und muſste mit schweren Summen sich ranzioniren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten be- stimmten römischen Truppenabtheilungen fingen an ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die frei- lich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere ver- schwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Corsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie entweder mit groſsen Summen sich loszu- kaufen oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mi- thradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Pi- raten ausgeraubt wurden (670), so kann man sich denken, wie es dann ging, wenn weder eine römische Flotte noch ein römi- sches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
daner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte.
Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682. 683) rückte
wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm
ihre Hauptstadt Uscudama oder Philippopolis (Adrianopel) und
zwang sie der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König
der Odrysen Sadalas und die griechischen Städte an der Ostküste
nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kal-
latis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden ab-
hängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher
kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf
dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäſsiger Theil
der Provinz Makedonien.
Aber weit nachtheiliger als die immer doch auf einen ge-
ringen Theil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der
Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die Einzelnen
die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester
sich organisirte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer
in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Producte aus- noch
das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die
Leute, hier stockte wegen Mangel an Absatz die Bestellung der
Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr
sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine
groſse Anzahl angesehener Römer wurde von den Corsaren auf-
gebracht und muſste mit schweren Summen sich ranzioniren,
wenn es nicht gar den Piraten beliebte an einzelnen derselben
das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem
Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten be-
stimmten römischen Truppenabtheilungen fingen an ihre Fahrten
vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die
Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die frei-
lich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere ver-
schwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war,
sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen
und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der
Normannenzeit liefen die Corsarengeschwader bei den Seestädten
an und zwangen sie entweder mit groſsen Summen sich loszu-
kaufen oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand.
Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mi-
thradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Pi-
raten ausgeraubt wurden (670), so kann man sich denken, wie
es dann ging, wenn weder eine römische Flotte noch ein römi-
sches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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