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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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und ihre Gläubiger entweder durch Drohungen zu terrorisiren
oder gar sich ihrer durch Complott und Bürgerkrieg zu entledigen.
Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen
entsprangen die Aufläufe, deren Signal das ,freie Folium' war, des
Cinna (II. 239. 302) und bestimmter noch des Catilina, des Cae-
lius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der
Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die
hellenische Welt bewegten (I, 579). Dass bei so unterhöhlten
ökonomischen Zuständen jede finanzielle oder politische Krise
die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der
Dinge; es bedarf kaum gesagt zu werden, dass die gewöhnlichen
Erscheinungen: das Verschwinden des Capitals, die plötzliche
Entwerthung der Grundstücke, zahllose Bankerotte und eine fast
allgemeine Insolvenz eben wie während des bundesgenössischen
und mithradatischen (II, 377), so auch jetzt während des Bür-
gerkrieges sich einstellten. -- Dass Sittlichkeit und Familienleben
unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft
zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht
mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen arm
zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann
den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offiziers-
stelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vor-
nehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkun-
denfälschung und Meineide waren so gemein geworden, dass bei
einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid ,das Schuldenpflaster'
heisst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Be-
stechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann,
sondern für einen persönlichen Feind. Die Criminalstatistik aller
Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu
einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und
so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozess des Aulus
Cluentius in dem Schoss einer der angesehensten Familien einer
italischen Ackerstadt vor uns aufrollt. Einer der charakteri-
stischsten Züge in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist
die Emancipation der Frauenwelt. Oekonomisch hatte dieselbe
längst sich emancipirt; in der gegenwärtigen Epoche begegnen
schon eigene Frauenanwälte, die einzelstehenden reichen Frauen
bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflis-
sen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntniss
ihnen imponiren und damit reichlichere Trinkgelder und Erb-
schaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse.
Aber nicht bloss der ökonomischen Vormundschaft des Vaters

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und ihre Gläubiger entweder durch Drohungen zu terrorisiren
oder gar sich ihrer durch Complott und Bürgerkrieg zu entledigen.
Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen
entsprangen die Aufläufe, deren Signal das ‚freie Folium‘ war, des
Cinna (II. 239. 302) und bestimmter noch des Catilina, des Cae-
lius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der
Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die
hellenische Welt bewegten (I, 579). Daſs bei so unterhöhlten
ökonomischen Zuständen jede finanzielle oder politische Krise
die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der
Dinge; es bedarf kaum gesagt zu werden, daſs die gewöhnlichen
Erscheinungen: das Verschwinden des Capitals, die plötzliche
Entwerthung der Grundstücke, zahllose Bankerotte und eine fast
allgemeine Insolvenz eben wie während des bundesgenössischen
und mithradatischen (II, 377), so auch jetzt während des Bür-
gerkrieges sich einstellten. — Daſs Sittlichkeit und Familienleben
unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft
zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht
mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen arm
zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann
den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offiziers-
stelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vor-
nehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkun-
denfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daſs bei
einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid ‚das Schuldenpflaster‘
heiſst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Be-
stechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann,
sondern für einen persönlichen Feind. Die Criminalstatistik aller
Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu
einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und
so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeſs des Aulus
Cluentius in dem Schoſs einer der angesehensten Familien einer
italischen Ackerstadt vor uns aufrollt. Einer der charakteri-
stischsten Züge in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist
die Emancipation der Frauenwelt. Oekonomisch hatte dieselbe
längst sich emancipirt; in der gegenwärtigen Epoche begegnen
schon eigene Frauenanwälte, die einzelstehenden reichen Frauen
bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflis-
sen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntniſs
ihnen imponiren und damit reichlichere Trinkgelder und Erb-
schaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse.
Aber nicht bloſs der ökonomischen Vormundschaft des Vaters

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[487/0497] REPUBLIK UND MONARCHIE. und ihre Gläubiger entweder durch Drohungen zu terrorisiren oder gar sich ihrer durch Complott und Bürgerkrieg zu entledigen. Auf diesen Verhältnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die Aufläufe, deren Signal das ‚freie Folium‘ war, des Cinna (II. 239. 302) und bestimmter noch des Catilina, des Cae- lius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt bewegten (I, 579). Daſs bei so unterhöhlten ökonomischen Zuständen jede finanzielle oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der Dinge; es bedarf kaum gesagt zu werden, daſs die gewöhnlichen Erscheinungen: das Verschwinden des Capitals, die plötzliche Entwerthung der Grundstücke, zahllose Bankerotte und eine fast allgemeine Insolvenz eben wie während des bundesgenössischen und mithradatischen (II, 377), so auch jetzt während des Bür- gerkrieges sich einstellten. — Daſs Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offiziers- stelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vor- nehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkun- denfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daſs bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid ‚das Schuldenpflaster‘ heiſst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Be- stechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann, sondern für einen persönlichen Feind. Die Criminalstatistik aller Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeſs des Aulus Cluentius in dem Schoſs einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns aufrollt. Einer der charakteri- stischsten Züge in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emancipation der Frauenwelt. Oekonomisch hatte dieselbe längst sich emancipirt; in der gegenwärtigen Epoche begegnen schon eigene Frauenanwälte, die einzelstehenden reichen Frauen bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflis- sen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntniſs ihnen imponiren und damit reichlichere Trinkgelder und Erb- schaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse. Aber nicht bloſs der ökonomischen Vormundschaft des Vaters

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/497>, abgerufen am 18.12.2024.