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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
starken Bücherconsums wurde die Technik des fabrikmässigen
Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publication ver-
hältnissmässig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward
ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des
Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Män-
ner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Ta-
fel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt
hatte, regelmässig vorgelesen und wer eine Reise vorhatte, vergals
nicht leicht eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier
sah man im Lagerzelt mit dem schlüpfrigen griechischen Ro-
man, den Staatsmann im Senat mit dem philosophischen Tractat
in der Hand sitzen. Es stand denn auch im römischen Staate
wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die
Bürger lesen ,von der Thürschwell an bis zum Privet'. Der par-
thische General Surenas hatte nicht Unrecht, wenn er den Bür-
gern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Ro-
mane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Bücher noch
für furchtbare Gegner hielten.

Die litterarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und
konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und
der neuen Weise getheilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem
politischen Gebiet sich bekämpfen, die nationalitalische der Con-
servativen, die hellenisch-italische oder wenn man will kosmo-
politische der neuen Monarchie, haben auch auf dem litterarischen
ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere latei-
nische Litteratur, die mehr und mehr auf dem Theater, in der
Schule und in der gelehrten Forschung den Charakter der Klassi-
cität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Partei-
tendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius,
Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die
Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die
relative Nationalität und relative Productivität der Dichter des sech-
sten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser
Epoche des ausgebildeten Epigonenthums, die in der Litteratur
ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der
Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwieder-
bringlich untergegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewun-
derung der alten Klassiker ein guter Theil derselben Hohlheit und
Heuchelei, die dem conservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen
sind. Die alte Litteratur rangirte ungefähr auf einer Linie mit der
aristokratischen Verfassung und der Auguraldisciplin; ,der Patrio-
tismus erfordert es', heisst es bei Cicero, ,lieber eine notorisch

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
starken Bücherconsums wurde die Technik des fabrikmäſsigen
Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publication ver-
hältniſsmäſsig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward
ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des
Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Män-
ner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Ta-
fel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt
hatte, regelmäſsig vorgelesen und wer eine Reise vorhatte, vergals
nicht leicht eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier
sah man im Lagerzelt mit dem schlüpfrigen griechischen Ro-
man, den Staatsmann im Senat mit dem philosophischen Tractat
in der Hand sitzen. Es stand denn auch im römischen Staate
wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die
Bürger lesen ‚von der Thürschwell an bis zum Privet‘. Der par-
thische General Surenas hatte nicht Unrecht, wenn er den Bür-
gern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Ro-
mane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Bücher noch
für furchtbare Gegner hielten.

Die litterarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und
konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und
der neuen Weise getheilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem
politischen Gebiet sich bekämpfen, die nationalitalische der Con-
servativen, die hellenisch-italische oder wenn man will kosmo-
politische der neuen Monarchie, haben auch auf dem litterarischen
ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere latei-
nische Litteratur, die mehr und mehr auf dem Theater, in der
Schule und in der gelehrten Forschung den Charakter der Klassi-
cität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Partei-
tendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius,
Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die
Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die
relative Nationalität und relative Productivität der Dichter des sech-
sten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser
Epoche des ausgebildeten Epigonenthums, die in der Litteratur
ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der
Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwieder-
bringlich untergegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewun-
derung der alten Klassiker ein guter Theil derselben Hohlheit und
Heuchelei, die dem conservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen
sind. Die alte Litteratur rangirte ungefähr auf einer Linie mit der
aristokratischen Verfassung und der Auguraldisciplin; ‚der Patrio-
tismus erfordert es‘, heiſst es bei Cicero, ‚lieber eine notorisch

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[540/0550] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. starken Bücherconsums wurde die Technik des fabrikmäſsigen Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publication ver- hältniſsmäſsig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward ein angesehenes und einträgliches Gewerbe und der Laden des Buchhändlers ein gewöhnlicher Versammlungsort gebildeter Män- ner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Ta- fel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedrängt hatte, regelmäſsig vorgelesen und wer eine Reise vorhatte, vergals nicht leicht eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt mit dem schlüpfrigen griechischen Ro- man, den Staatsmann im Senat mit dem philosophischen Tractat in der Hand sitzen. Es stand denn auch im römischen Staate wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die Bürger lesen ‚von der Thürschwell an bis zum Privet‘. Der par- thische General Surenas hatte nicht Unrecht, wenn er den Bür- gern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Ro- mane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Bücher noch für furchtbare Gegner hielten. Die litterarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise getheilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekämpfen, die nationalitalische der Con- servativen, die hellenisch-italische oder wenn man will kosmo- politische der neuen Monarchie, haben auch auf dem litterarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere latei- nische Litteratur, die mehr und mehr auf dem Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung den Charakter der Klassi- cität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Partei- tendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalität und relative Productivität der Dichter des sech- sten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonenthums, die in der Litteratur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwieder- bringlich untergegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewun- derung der alten Klassiker ein guter Theil derselben Hohlheit und Heuchelei, die dem conservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen sind. Die alte Litteratur rangirte ungefähr auf einer Linie mit der aristokratischen Verfassung und der Auguraldisciplin; ‚der Patrio- tismus erfordert es‘, heiſst es bei Cicero, ‚lieber eine notorisch

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/550>, abgerufen am 10.11.2024.