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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die todte Gelehrsam-
keit bis zu einer Scheinproductivität gesteigert. Diese postume
Productivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesent-
lich gleichartig derjenigen Gelehrtenlitteratur, welche, abstrahi-
rend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren
vulgaren Idiomen, in einem philologisch gelehrten kosmopoliti-
schen Kreise als künstliche Nachblüthe einer untergegangenen
Volkslitteratur während des funfzehnten und sechszehnten Jahr-
hunderts erwuchs; nur dass freilich der Gegensatz zwischen dem
klassischen und dem Vulgargriechisch dieser Zeit minder schroff
war wie der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italie-
nisch Macchiavellis. -- In Italien hatte man bisher sich gegen den
Alexandrinismus im Wesentlichen ablehnend verhalten. Die rela-
tive Blüthezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem ersten
punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius
und schloss überhaupt die gesammte nationalrömische Schriftstel-
lerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer
Production, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen,[...] nicht
an ihre griechische Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an,
sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und
die anderen Meister der lebendigen und volksthümlichen griechi-
schen Litteratur. Die römische Litteratur ist niemals frisch und
national gewesen; aber so lange es ein römisches Volk gab, griff
sie instinctmässig nach lebendigen und volksthümlichen Mustern
und copirte, wenn auch nicht immer aufs Beste noch die besten,
doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer --
denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit (II, 427)
können kaum mitgezählt werden -- fand die nach Alexander ent-
standene griechische Litteratur unter den Zeitgenossen Ciceros
und Caesars und bald griff der römische Alexandrinismus mit
reissender Schnelligkeit um sich. Zum Theil ging dies aus äusser-
lichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Grie-
chen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die helleni-
schen Landschaften und die Ansammlung griechischer Littera-
ten in Rom, verschaffte natürlich der griechischen Tageslitte-
ratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen
und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Mähr-
chen auch unter den Italikern ein Publicum. Indem ferner die
alexandrinische Poesie, wie früher (S. 530) dargestellt ward, in
dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies um
so mehr zurück auf die lateinische Litteratur, als diese von der
hellenistischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig

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auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die todte Gelehrsam-
keit bis zu einer Scheinproductivität gesteigert. Diese postume
Productivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesent-
lich gleichartig derjenigen Gelehrtenlitteratur, welche, abstrahi-
rend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren
vulgaren Idiomen, in einem philologisch gelehrten kosmopoliti-
schen Kreise als künstliche Nachblüthe einer untergegangenen
Volkslitteratur während des funfzehnten und sechszehnten Jahr-
hunderts erwuchs; nur daſs freilich der Gegensatz zwischen dem
klassischen und dem Vulgargriechisch dieser Zeit minder schroff
war wie der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italie-
nisch Macchiavellis. — In Italien hatte man bisher sich gegen den
Alexandrinismus im Wesentlichen ablehnend verhalten. Die rela-
tive Blüthezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem ersten
punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius
und schloſs überhaupt die gesammte nationalrömische Schriftstel-
lerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer
Production, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen,[…] nicht
an ihre griechische Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an,
sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und
die anderen Meister der lebendigen und volksthümlichen griechi-
schen Litteratur. Die römische Litteratur ist niemals frisch und
national gewesen; aber so lange es ein römisches Volk gab, griff
sie instinctmäſsig nach lebendigen und volksthümlichen Mustern
und copirte, wenn auch nicht immer aufs Beste noch die besten,
doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer —
denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit (II, 427)
können kaum mitgezählt werden — fand die nach Alexander ent-
standene griechische Litteratur unter den Zeitgenossen Ciceros
und Caesars und bald griff der römische Alexandrinismus mit
reiſsender Schnelligkeit um sich. Zum Theil ging dies aus äuſser-
lichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Grie-
chen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die helleni-
schen Landschaften und die Ansammlung griechischer Littera-
ten in Rom, verschaffte natürlich der griechischen Tageslitte-
ratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen
und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Mähr-
chen auch unter den Italikern ein Publicum. Indem ferner die
alexandrinische Poesie, wie früher (S. 530) dargestellt ward, in
dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies um
so mehr zurück auf die lateinische Litteratur, als diese von der
hellenistischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig

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[542/0552] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die todte Gelehrsam- keit bis zu einer Scheinproductivität gesteigert. Diese postume Productivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesent- lich gleichartig derjenigen Gelehrtenlitteratur, welche, abstrahi- rend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren vulgaren Idiomen, in einem philologisch gelehrten kosmopoliti- schen Kreise als künstliche Nachblüthe einer untergegangenen Volkslitteratur während des funfzehnten und sechszehnten Jahr- hunderts erwuchs; nur daſs freilich der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem Vulgargriechisch dieser Zeit minder schroff war wie der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italie- nisch Macchiavellis. — In Italien hatte man bisher sich gegen den Alexandrinismus im Wesentlichen ablehnend verhalten. Die rela- tive Blüthezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem ersten punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloſs überhaupt die gesammte nationalrömische Schriftstel- lerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Production, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechische Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und volksthümlichen griechi- schen Litteratur. Die römische Litteratur ist niemals frisch und national gewesen; aber so lange es ein römisches Volk gab, griff sie instinctmäſsig nach lebendigen und volksthümlichen Mustern und copirte, wenn auch nicht immer aufs Beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer — denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit (II, 427) können kaum mitgezählt werden — fand die nach Alexander ent- standene griechische Litteratur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars und bald griff der römische Alexandrinismus mit reiſsender Schnelligkeit um sich. Zum Theil ging dies aus äuſser- lichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Grie- chen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die helleni- schen Landschaften und die Ansammlung griechischer Littera- ten in Rom, verschaffte natürlich der griechischen Tageslitte- ratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Mähr- chen auch unter den Italikern ein Publicum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie früher (S. 530) dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies um so mehr zurück auf die lateinische Litteratur, als diese von der hellenistischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/552>, abgerufen am 21.11.2024.