von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen- den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei- sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heissen. Aber wenn der römisch- hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muss hinter der wie immer unvollkommenen älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan- drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, dass die augusteische Litteratur, ver- glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie- chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte- ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich- tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge- schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer- spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man ungefähr danach bemessen, dass Quintus Cicero, um die Lange- weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei- ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein- zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ,Lebens- bild' oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloss mit den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit grösserer poetischer Kraft und besse- rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän- zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson- ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf- geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen- den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei- sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch- hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan- drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver- glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie- chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte- ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich- tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge- schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer- spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man ungefähr danach bemessen, daſs Quintus Cicero, um die Lange- weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei- ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein- zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ‚Lebens- bild‘ oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloſs mit den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit gröſserer poetischer Kraft und besse- rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän- zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson- ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf- geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0554"n="544"/><fwplace="top"type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/>
von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-<lb/>
den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei-<lb/>
sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es<lb/>
vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche<lb/>
vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch-<lb/>
hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen<lb/>
Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen<lb/>
älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan-<lb/>
drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie<lb/>
Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird<lb/>
später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver-<lb/>
glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine<lb/>
Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese<lb/>
und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine<lb/>
weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie-<lb/>
chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.</p><lb/><p>Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur.<lb/>
Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte-<lb/>
ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die<lb/>
Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete<lb/>
hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich-<lb/>
tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das<lb/>
Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge-<lb/>
schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden<lb/>
und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom<lb/>
ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer-<lb/>
spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu<lb/>
figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man<lb/>
ungefähr danach bemessen, daſs Quintus Cicero, um die Lange-<lb/>
weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei-<lb/>
ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein-<lb/>
zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ‚Lebens-<lb/>
bild‘ oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb<lb/>
der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloſs mit<lb/>
den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die<lb/>
der Alexandrinismus mit gröſserer poetischer Kraft und besse-<lb/>
rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der<lb/>
Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän-<lb/>
zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich<lb/>
zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson-<lb/>
ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf-<lb/>
geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[544/0554]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-
den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei-
sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es
vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche
vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch-
hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen
Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen
älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan-
drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie
Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird
später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver-
glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine
Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese
und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine
weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie-
chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur.
Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte-
ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die
Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete
hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich-
tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das
Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge-
schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden
und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom
ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer-
spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu
figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man
ungefähr danach bemessen, daſs Quintus Cicero, um die Lange-
weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei-
ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein-
zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ‚Lebens-
bild‘ oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb
der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloſs mit
den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die
der Alexandrinismus mit gröſserer poetischer Kraft und besse-
rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der
Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän-
zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich
zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson-
ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf-
geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/554>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.