Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei- sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heissen. Aber wenn der römisch- hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muss hinter der wie immer unvollkommenen älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan- drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, dass die augusteische Litteratur, ver- glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie- chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat. Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur. FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei- sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch- hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan- drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver- glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie- chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat. Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0554" n="544"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
von Virgil und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wen-
den; und nur die freilich auf diesem Gebiete verjährte schulmei-
sterliche Auffassung der Geschichte wie der Litteratur hat es
vermocht die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche
vorzugsweise die goldene zu heiſsen. Aber wenn der römisch-
hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen
Zeit zurückstehen muſs hinter der wie immer unvollkommenen
älteren nationalen Litteratur, so ist er andrerseits dem Alexan-
drinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie
Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird
später darzustellen sein, daſs die augusteische Litteratur, ver-
glichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine
Philologen- und weit mehr eine Reichslitteratur war als diese
und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft eine
weit dauerndere und allgemeinere Wirkung machte als der grie-
chische Alexandrinismus jemals sie gehabt hat.
Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenlitteratur.
Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationallitte-
ratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche abgestorben und die
Productivität, welche der Alexandrinismus auf diesem Gebiete
hervorrief, war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendich-
tung hatte die alexandrinische Litteratur nie gekannt; nur das
Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung ge-
schrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden
und bald fingen denn auch die dramatischen Jamben an in Rom
ebenso wie in Alexandreia zu grassiren und namentlich das Trauer-
spielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu
figuriren. Welcher Art diese Productionen waren, kann man
ungefähr danach bemessen, daſs Quintus Cicero, um die Lange-
weile des gallischen Winterquartiers homöopatisch zu vertrei-
ben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Der ein-
zige frische Zweig der dramatischen Litteratur war das ‚Lebens-
bild‘ oder der Mimus, in dem der letzte noch grünende Trieb
der nationalen Litteratur, die Atellanenposse zusammenfloſs mit
den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die
der Alexandrinismus mit gröſserer poetischer Kraft und besse-
rem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie cultivirte. Der
Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertän-
zen zur Flöte, die theils bei anderen Gelegenheiten, namentlich
zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, theils beson-
ders im Parterre des Theaters während der Zwischenacte auf-
geführt wurden. Es war nicht schwer aus diesen Tänzen, bei
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