Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. ,die Weberinnen', ,die Hetäre', ,derHundejunge'; andere Stücke geben Charakterfiguren: ,das Breitmaul', ,der Mann von 100000 Sesterzen'; oder Bilder des Auslandes: ,die Gallier', ,Alexan- dreia'; oder Schilderungen von Volksfesten: ,die Compitalien', ,die Saturnalien', ,Anna Perenna', ,die warmen Bäder'; oder travestirte Mythologie: ,die Fahrt in die Unterwelt', ,der Arverner- see'. Treffende Schlagwörter und kurze leicht behalt- und an- wendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Un- sinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegan- gen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich einzelne Beispiele.* Die Sprache strömte natürlich selbst in den zur Veröffentlichung redigirten Stücken über von Vulgaraus- drücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse, nur dass die Charaktermasken und die stehende Scenerie von Atella so wie das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bret- ter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Litteratur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch meisterlich be- handelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Ge- schichtschreiber muss es bedauern, dass es uns nicht mehr ver- gönnt ist das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem grossen attischen Gegenbild zu vergleichen. Mit der Nichtigkeit der Bühnenlitteratur Hand in Hand geht * In Laberius ,Fahrt in die Unterwelt ' tritt allerlei Volk auf, das
Wunder und Zeichen gesehen hat; dem Einen ist ein Mann zweier Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürz- lich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Näm- lich Caesar wollte -- nach dem Klatsch der Zeit -- die Vielweiberei in Rom einführen (Sueton Caes. 82) und ernannte in der That statt vier Aedi- len deren sechs. Man sieht auch hieraus, dass Laberius Narrenrecht zu üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand. FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. ‚die Weberinnen‘, ‚die Hetäre‘, ‚derHundejunge‘; andere Stücke geben Charakterfiguren: ‚das Breitmaul‘, ‚der Mann von 100000 Sesterzen‘; oder Bilder des Auslandes: ‚die Gallier‘, ‚Alexan- dreia‘; oder Schilderungen von Volksfesten: ‚die Compitalien‘, ‚die Saturnalien‘, ‚Anna Perenna‘, ‚die warmen Bäder‘; oder travestirte Mythologie: ‚die Fahrt in die Unterwelt‘, ‚der Arverner- see‘. Treffende Schlagwörter und kurze leicht behalt- und an- wendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Un- sinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegan- gen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich einzelne Beispiele.* Die Sprache strömte natürlich selbst in den zur Veröffentlichung redigirten Stücken über von Vulgaraus- drücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse, nur daſs die Charaktermasken und die stehende Scenerie von Atella so wie das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bret- ter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Litteratur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch meisterlich be- handelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Ge- schichtschreiber muſs es bedauern, daſs es uns nicht mehr ver- gönnt ist das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem groſsen attischen Gegenbild zu vergleichen. Mit der Nichtigkeit der Bühnenlitteratur Hand in Hand geht * In Laberius ‚Fahrt in die Unterwelt ‘ tritt allerlei Volk auf, das
Wunder und Zeichen gesehen hat; dem Einen ist ein Mann zweier Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürz- lich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Näm- lich Caesar wollte — nach dem Klatsch der Zeit — die Vielweiberei in Rom einführen (Sueton Caes. 82) und ernannte in der That statt vier Aedi- len deren sechs. Man sieht auch hieraus, daſs Laberius Narrenrecht zu üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0556" n="546"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> ‚die Weberinnen‘, ‚die Hetäre‘, ‚der<lb/> Hundejunge‘; andere Stücke<lb/> geben Charakterfiguren: ‚das Breitmaul‘, ‚der Mann von<lb/> 100000<lb/> Sesterzen‘; oder Bilder des Auslandes: ‚die Gallier‘,<lb/> ‚Alexan-<lb/> dreia‘; oder Schilderungen von Volksfesten: ‚die<lb/> Compitalien‘,<lb/> ‚die Saturnalien‘, ‚Anna Perenna‘, ‚die<lb/> warmen Bäder‘; oder<lb/> travestirte Mythologie: ‚die Fahrt in die Unterwelt‘, ‚der<lb/> Arverner-<lb/> see‘. Treffende Schlagwörter und kurze leicht behalt- und an-<lb/> wendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Un-<lb/> sinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt<lb/> wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegan-<lb/> gen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng<lb/> untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich<lb/> einzelne Beispiele.<note place="foot" n="*">In Laberius ‚Fahrt in die Unterwelt ‘ tritt allerlei Volk auf, das<lb/> Wunder und Zeichen gesehen hat; dem Einen ist ein Mann zweier Frauen<lb/> erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürz-<lb/> lich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Näm-<lb/> lich Caesar wollte — nach dem Klatsch der Zeit — die Vielweiberei in<lb/> Rom einführen (Sueton <hi rendition="#i">Caes</hi>. 82) und ernannte in der That statt vier Aedi-<lb/> len deren sechs. Man sieht auch hieraus, daſs Laberius Narrenrecht zu<lb/> üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.</note> Die Sprache strömte<lb/> natürlich selbst in den<lb/> zur Veröffentlichung redigirten Stücken über von Vulgaraus-<lb/> drücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht,<lb/> der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse, nur daſs die<lb/> Charaktermasken und die stehende Scenerie von Atella so wie<lb/> das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische<lb/> Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bret-<lb/> ter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel<lb/> flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz<lb/> in der Litteratur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer<lb/> Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch meisterlich be-<lb/> handelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Ge-<lb/> schichtschreiber muſs es bedauern, daſs es uns nicht mehr ver-<lb/> gönnt ist das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit<lb/> seinem groſsen attischen Gegenbild zu vergleichen.</p><lb/> <p>Mit der Nichtigkeit der Bühnenlitteratur Hand in Hand geht<lb/> die Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramati-<lb/> sche Vorstellungen erhielten ihren regelmäſsigen Platz im öffent-<lb/> lichen Leben nicht bloſs der Hauptstadt, sondern auch der Land-<lb/> städte; jene bekam nun auch endlich durch Pompeius ein stehendes<lb/> Theater (699, s. S. 286). Die Dramen der gleichzeitigen Poeten,<lb/> mit Ausnahme der Mimen, wurden der Aufführung kaum gewürdigt;<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [546/0556]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
‚die Weberinnen‘, ‚die Hetäre‘, ‚der
Hundejunge‘; andere Stücke
geben Charakterfiguren: ‚das Breitmaul‘, ‚der Mann von
100000
Sesterzen‘; oder Bilder des Auslandes: ‚die Gallier‘,
‚Alexan-
dreia‘; oder Schilderungen von Volksfesten: ‚die
Compitalien‘,
‚die Saturnalien‘, ‚Anna Perenna‘, ‚die
warmen Bäder‘; oder
travestirte Mythologie: ‚die Fahrt in die Unterwelt‘, ‚der
Arverner-
see‘. Treffende Schlagwörter und kurze leicht behalt- und an-
wendbare Gemeinsprüche sind willkommen; aber auch jeder Un-
sinn hat von selber das Bürgerrecht: in dieser verkehrten Welt
wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegan-
gen. Sogar von den auf dem römischen Theater sonst so streng
untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich
einzelne Beispiele. * Die Sprache strömte
natürlich selbst in den
zur Veröffentlichung redigirten Stücken über von Vulgaraus-
drücken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht,
der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse, nur daſs die
Charaktermasken und die stehende Scenerie von Atella so wie
das bäuerliche Gepräge wegfällt und dafür das hauptstädtische
Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bret-
ter kommt. Die meisten Stücke dieser Art waren ohne Zweifel
flüchtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz
in der Litteratur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer
Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch meisterlich be-
handelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Ge-
schichtschreiber muſs es bedauern, daſs es uns nicht mehr ver-
gönnt ist das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit
seinem groſsen attischen Gegenbild zu vergleichen.
Mit der Nichtigkeit der Bühnenlitteratur Hand in Hand geht
die Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramati-
sche Vorstellungen erhielten ihren regelmäſsigen Platz im öffent-
lichen Leben nicht bloſs der Hauptstadt, sondern auch der Land-
städte; jene bekam nun auch endlich durch Pompeius ein stehendes
Theater (699, s. S. 286). Die Dramen der gleichzeitigen Poeten,
mit Ausnahme der Mimen, wurden der Aufführung kaum gewürdigt;
* In Laberius ‚Fahrt in die Unterwelt ‘ tritt allerlei Volk auf, das
Wunder und Zeichen gesehen hat; dem Einen ist ein Mann zweier Frauen
erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch ärger als das kürz-
lich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Näm-
lich Caesar wollte — nach dem Klatsch der Zeit — die Vielweiberei in
Rom einführen (Sueton Caes. 82) und ernannte in der That statt vier Aedi-
len deren sechs. Man sieht auch hieraus, daſs Laberius Narrenrecht zu
üben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.
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