Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. tius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, sohatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen Recht. Die latinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in so gleichmässiger Vollendung wieder erscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen vermag. Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in pro- * ,Mir als Knaben', sagt er irgendwo, ,genügte ein einziger gemeiner
Rock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Flussbad selten'. Wegen seiner persönlichen Taperkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flot- tenabtheilung führte, den Schiffskranz. FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. tius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, sohatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen Recht. Die latinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in so gleichmäſsiger Vollendung wieder erscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen vermag. Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in pro- * ‚Mir als Knaben‘, sagt er irgendwo, ‚genügte ein einziger gemeiner
Rock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Fluſsbad selten‘. Wegen seiner persönlichen Taperkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flot- tenabtheilung führte, den Schiffskranz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0566" n="556"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> tius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so<lb/> hatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen Recht.<lb/> Die latinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht,<lb/> in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in<lb/> so gleichmäſsiger Vollendung wieder erscheinen wie bei Catullus;<lb/> und in diesem Sinne ist Catullus Gedichtsammlung allerdings das<lb/> Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen<lb/> vermag.</p><lb/> <p>Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in pro-<lb/> saischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der<lb/> echten, naiven wie bewuſsten, Kunst, daſs zwischen dem poeti-<lb/> schen Inhalt und dem metrischen Gewand eine nothwendige Wahl-<lb/> verwandtschaft stattfindet, weicht der Vermischung und Trübung<lb/> aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeich-<lb/> nendsten Zügen dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch<lb/> weiter nichts anzuführen, als daſs der berühmteste Geschicht-<lb/> schreiber dieser Epoche Sisenna sich nicht für zu gut hielt die<lb/> viel gelesenen milesischen Erzählungen des Aristeides, schlüpfrige<lb/> Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu übersetzen.<lb/> Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zwei-<lb/> felhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die ästhetischen<lb/> Schriften Varros, der nicht bloſs der bedeutendste Vertreter der<lb/> lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch<lb/> in der productiven Litteratur einer der fruchtbarsten und inte-<lb/> ressantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Land-<lb/> schaft heimischen dem römischen Senat seit zweihundert Jahren<lb/> angehörigen Geschlechte entsprossen, streng in alterthümlicher<lb/> Zucht und Ehrbarkeit erzogen<note place="foot" n="*">‚Mir als Knaben‘, sagt er irgendwo, ‚genügte ein einziger gemeiner<lb/> Rock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne<lb/> Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Fluſsbad selten‘. Wegen<lb/> seiner persönlichen Taperkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flot-<lb/> tenabtheilung führte, den Schiffskranz.</note> und bereits am Anfang dieser<lb/> Epoche ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von<lb/> Reate (638—727) politisch, wie sich von selbst versteht, der<lb/> Verfassungspartei an und betheiligte sich ehrlich und energisch<lb/> an ihrem Thun und Leiden. Er that dies theils litterarisch, indem<lb/> er zum Beispiel die erste Coalition, das ‚dreiköpfige Ungeheuer‘,<lb/> in Flugschriften bekämpfte, theils im ernsteren Kriege, wo wir<lb/> ihn im Heere des Pompeius als Commandanten des jenseitigen<lb/> Spaniens fanden (S. 362). Als die Sache der Republik verloren<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [556/0566]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
tius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so
hatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen Recht.
Die latinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht,
in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in
so gleichmäſsiger Vollendung wieder erscheinen wie bei Catullus;
und in diesem Sinne ist Catullus Gedichtsammlung allerdings das
Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen
vermag.
Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in pro-
saischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der
echten, naiven wie bewuſsten, Kunst, daſs zwischen dem poeti-
schen Inhalt und dem metrischen Gewand eine nothwendige Wahl-
verwandtschaft stattfindet, weicht der Vermischung und Trübung
aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeich-
nendsten Zügen dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch
weiter nichts anzuführen, als daſs der berühmteste Geschicht-
schreiber dieser Epoche Sisenna sich nicht für zu gut hielt die
viel gelesenen milesischen Erzählungen des Aristeides, schlüpfrige
Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu übersetzen.
Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zwei-
felhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die ästhetischen
Schriften Varros, der nicht bloſs der bedeutendste Vertreter der
lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch
in der productiven Litteratur einer der fruchtbarsten und inte-
ressantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Land-
schaft heimischen dem römischen Senat seit zweihundert Jahren
angehörigen Geschlechte entsprossen, streng in alterthümlicher
Zucht und Ehrbarkeit erzogen * und bereits am Anfang dieser
Epoche ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von
Reate (638—727) politisch, wie sich von selbst versteht, der
Verfassungspartei an und betheiligte sich ehrlich und energisch
an ihrem Thun und Leiden. Er that dies theils litterarisch, indem
er zum Beispiel die erste Coalition, das ‚dreiköpfige Ungeheuer‘,
in Flugschriften bekämpfte, theils im ernsteren Kriege, wo wir
ihn im Heere des Pompeius als Commandanten des jenseitigen
Spaniens fanden (S. 362). Als die Sache der Republik verloren
* ‚Mir als Knaben‘, sagt er irgendwo, ‚genügte ein einziger gemeiner
Rock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne
Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Fluſsbad selten‘. Wegen
seiner persönlichen Taperkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flot-
tenabtheilung führte, den Schiffskranz.
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