Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht schien; aber seinHerz war bei diesem Parteitreiben nicht -- ,warum', klagt er einmal, ,riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rath- hausschmutz?' Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Römerthums, die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varro's Na- turell, dass die menippische Geissel ganz besonders den Philoso- phen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene Angst versetzte -- nicht ohne Herzklopfen übersandten die phi- losophischen Scribenten der Zeit dem ,scharfen Mann' ihre neu erschienenen Tractate. Das Philosophiren ist wahrlich keine Kunst. Mit dem zehnten Theil der Mühe, womit der Herr den Sclaven zum Kunstbäcker erzieht, bildet er selbst sich zum Phi- losophen; freilich, wenn dann der Bäcker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkünstler hundertmal theurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt die Leichen in Honig bei- zusetzen -- ein Glück, dass man ihm nicht den Willen thut, wo bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, dass die Men- schen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst unter- gehen wird. Gewiss, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt Es ist spasshaft anzusehen, wie so ein Langbart -- der etymolo- FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht schien; aber seinHerz war bei diesem Parteitreiben nicht — ‚warum‘, klagt er einmal, ‚riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rath- hausschmutz?‘ Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Römerthums, die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varro's Na- turell, daſs die menippische Geiſsel ganz besonders den Philoso- phen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene Angst versetzte — nicht ohne Herzklopfen übersandten die phi- losophischen Scribenten der Zeit dem ‚scharfen Mann‘ ihre neu erschienenen Tractate. Das Philosophiren ist wahrlich keine Kunst. Mit dem zehnten Theil der Mühe, womit der Herr den Sclaven zum Kunstbäcker erzieht, bildet er selbst sich zum Phi- losophen; freilich, wenn dann der Bäcker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkünstler hundertmal theurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt die Leichen in Honig bei- zusetzen — ein Glück, daſs man ihm nicht den Willen thut, wo bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, daſs die Men- schen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst unter- gehen wird. Gewiſs, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt Es ist spaſshaft anzusehen, wie so ein Langbart — der etymolo- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0570" n="560"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
dem Verfassungskampf, was ihm Bürgerpflicht schien; aber sein
Herz war bei diesem Parteitreiben nicht — ‚warum‘, klagt er
einmal, ‚riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rath-
hausschmutz?‘ Er gehörte der guten alten Zeit an, wo die Rede
nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war.
Nur eine einzelne Seite dieser altväterischen Opposition gegen
den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde
des echten Römerthums, die griechischen Weltweisen; aber es
lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varro's Na-
turell, daſs die menippische Geiſsel ganz besonders den Philoso-
phen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene
Angst versetzte — nicht ohne Herzklopfen übersandten die phi-
losophischen Scribenten der Zeit dem ‚scharfen Mann‘ ihre neu
erschienenen Tractate. Das Philosophiren ist wahrlich keine
Kunst. Mit dem zehnten Theil der Mühe, womit der Herr den
Sclaven zum Kunstbäcker erzieht, bildet er selbst sich zum Phi-
losophen; freilich, wenn dann der Bäcker und der Philosoph
beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkünstler
hundertmal theurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute,
diese Philosophen! Der eine befiehlt die Leichen in Honig bei-
zusetzen — ein Glück, daſs man ihm nicht den Willen thut, wo
bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, daſs die Men-
schen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte
hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst unter-
gehen wird.
Gewiſs, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt
So toll, was nicht als Lehrsatz bringt ein Philosoph.
Es ist spaſshaft anzusehen, wie so ein Langbart — der etymolo-
gisirende Stoiker ist gemeint — ein jedes Wort bedächtig auf der
Goldwage wägt; aber nichts geht doch über den echten Philoso-
phenzank — ein stoischer Faustkampf übertrifft weit jede Athle-
tenbalgerei. In der Satire ‚die Marcusstadt oder vom Regimente‘,
wo Marcus sich ein Wolkenkukuksheim nach seinem Herzen
schuf, erging es eben wie in dem attischen dem Bauer gut, dem
Philosophen aber übel; der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis
(Celer-δι'-ἑνὸς-λήμματος-λόγος), Antipatros des Stoikers
Sohn, schlägt darin seinem Gegner, offenbar dem philosophi-
schen Zweiglied (Dilemma) mit der Feldhacke den Schädel ein.
Mit dieser sittlich polemischen Tendenz vereinigte sich auf das
Glücklichste Varros unvergleichliche Kunde der nationalen Sitte
und Sprache, die in den fachwissenschaftlichen Schriften seines
Greisenalters collectaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmit-
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/570>, abgerufen am 16.02.2025. |