Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LITTERATUR. ten ,von italischen Dingen', ein widerwärtiges Gemisch abgestan-dener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend ero- tischer Erfindung, gab es zum Beispiel von dem schon unter den in Rom lebenden griechischen Litteraten erwähnten Polyhistor Alexandros (S. 538) und, charakteristisch genug, von dem mehr genannten Aristeides von Milet, dem gelesensten Romanschreiber der Zeit. -- So dringt von verschiedenen Seiten her der histo- rische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, dass von dem, was man heute Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Theil aus Quellen herrührt von dem Schlage der Amadis von Gallien und der Fouqueschen Ritterromane -- eine erbau- liche Betrachtung, welche denjenigen empfohlen sein mag, die Sinn haben für den Humor der Geschichte und welche die Komik der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in die römische Litteratur tritt in dieser Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefasste rö- misch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos (c. 650-- c. 725) lieferte zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700) und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biogra- phiensammlung politisch oder litterarisch ausgezeichneter römi- scher und griechischer oder doch in die römische oder griechische Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schliessen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit längerer Zeit schrieben; und es ist bemerkenswerth, dass eben diese griechischen Weltchroniken jetzt auch, wie zum Beispiel die im J. 698 abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galati- schen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte rö- mische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen begannen. Polybios Tendenz der localen Geschichte die der Mittelmeerwelt zu substi- tuiren liegt allerdings auch diesen Arbeiten zu Grunde; aber was bei Polybios aus grossartig klarer Auffassung und tiefem ge- schichtlichem Sinn hervorging, erscheint in diesen Chroniken viel- mehr als ein Product des praktischen Bedürfnisses von Schul- meistern und Dilettanten. Der künstlerischen Geschichtschrei- bung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Unterricht oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusam- menhängende auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weit- schichtig gewordene Litteratur kaum zugezählt werden; und namentlich Nepos selbst war ein reiner weder durch Geist noch auch nur durch Planmässigkeit und Genauigkeit ausgezeichneter LITTERATUR. ten ‚von italischen Dingen‘, ein widerwärtiges Gemisch abgestan-dener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend ero- tischer Erfindung, gab es zum Beispiel von dem schon unter den in Rom lebenden griechischen Litteraten erwähnten Polyhistor Alexandros (S. 538) und, charakteristisch genug, von dem mehr genannten Aristeides von Milet, dem gelesensten Romanschreiber der Zeit. — So dringt von verschiedenen Seiten her der histo- rische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, daſs von dem, was man heute Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Theil aus Quellen herrührt von dem Schlage der Amadis von Gallien und der Fouquéschen Ritterromane — eine erbau- liche Betrachtung, welche denjenigen empfohlen sein mag, die Sinn haben für den Humor der Geschichte und welche die Komik der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in die römische Litteratur tritt in dieser Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefaſste rö- misch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos (c. 650— c. 725) lieferte zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700) und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biogra- phiensammlung politisch oder litterarisch ausgezeichneter römi- scher und griechischer oder doch in die römische oder griechische Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schlieſsen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit längerer Zeit schrieben; und es ist bemerkenswerth, daſs eben diese griechischen Weltchroniken jetzt auch, wie zum Beispiel die im J. 698 abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galati- schen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte rö- mische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen begannen. Polybios Tendenz der localen Geschichte die der Mittelmeerwelt zu substi- tuiren liegt allerdings auch diesen Arbeiten zu Grunde; aber was bei Polybios aus groſsartig klarer Auffassung und tiefem ge- schichtlichem Sinn hervorging, erscheint in diesen Chroniken viel- mehr als ein Product des praktischen Bedürfnisses von Schul- meistern und Dilettanten. Der künstlerischen Geschichtschrei- bung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Unterricht oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusam- menhängende auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weit- schichtig gewordene Litteratur kaum zugezählt werden; und namentlich Nepos selbst war ein reiner weder durch Geist noch auch nur durch Planmäſsigkeit und Genauigkeit ausgezeichneter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0577" n="567"/><fw place="top" type="header">LITTERATUR.</fw><lb/> ten ‚von italischen Dingen‘, ein widerwärtiges Gemisch abgestan-<lb/> dener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend ero-<lb/> tischer Erfindung, gab es zum Beispiel von dem schon unter den<lb/> in Rom lebenden griechischen Litteraten erwähnten Polyhistor<lb/> Alexandros (S. 538) und, charakteristisch genug, von dem mehr<lb/> genannten Aristeides von Milet, dem gelesensten Romanschreiber<lb/> der Zeit. — So dringt von verschiedenen Seiten her der histo-<lb/> rische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein;<lb/> und es ist mehr als wahrscheinlich, daſs von dem, was man heute<lb/> Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der<lb/> kleinste Theil aus Quellen herrührt von dem Schlage der Amadis<lb/> von Gallien und der Fouquéschen Ritterromane — eine erbau-<lb/> liche Betrachtung, welche denjenigen empfohlen sein mag, die<lb/> Sinn haben für den Humor der Geschichte und welche die Komik<lb/> der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für<lb/> König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. 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LITTERATUR.
ten ‚von italischen Dingen‘, ein widerwärtiges Gemisch abgestan-
dener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend ero-
tischer Erfindung, gab es zum Beispiel von dem schon unter den
in Rom lebenden griechischen Litteraten erwähnten Polyhistor
Alexandros (S. 538) und, charakteristisch genug, von dem mehr
genannten Aristeides von Milet, dem gelesensten Romanschreiber
der Zeit. — So dringt von verschiedenen Seiten her der histo-
rische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein;
und es ist mehr als wahrscheinlich, daſs von dem, was man heute
Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der
kleinste Theil aus Quellen herrührt von dem Schlage der Amadis
von Gallien und der Fouquéschen Ritterromane — eine erbau-
liche Betrachtung, welche denjenigen empfohlen sein mag, die
Sinn haben für den Humor der Geschichte und welche die Komik
der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für
König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in
die römische Litteratur tritt in dieser Epoche neben der Landes-
die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefaſste rö-
misch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos (c. 650— c. 725)
lieferte zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700)
und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biogra-
phiensammlung politisch oder litterarisch ausgezeichneter römi-
scher und griechischer oder doch in die römische oder griechische
Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schlieſsen an
die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit
längerer Zeit schrieben; und es ist bemerkenswerth, daſs eben
diese griechischen Weltchroniken jetzt auch, wie zum Beispiel die
im J. 698 abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galati-
schen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte rö-
mische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen begannen. Polybios
Tendenz der localen Geschichte die der Mittelmeerwelt zu substi-
tuiren liegt allerdings auch diesen Arbeiten zu Grunde; aber was
bei Polybios aus groſsartig klarer Auffassung und tiefem ge-
schichtlichem Sinn hervorging, erscheint in diesen Chroniken viel-
mehr als ein Product des praktischen Bedürfnisses von Schul-
meistern und Dilettanten. Der künstlerischen Geschichtschrei-
bung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Unterricht
oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusam-
menhängende auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weit-
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namentlich Nepos selbst war ein reiner weder durch Geist noch
auch nur durch Planmäſsigkeit und Genauigkeit ausgezeichneter
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