Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Corre-spondenzlitteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegel- bild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verflüchtigte und verzettelte. -- Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet; die litterarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenlitte- ratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein ver- breitete Sitte die für das Publicum bestimmten Notizen an öffent- lichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Da- gegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt für die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Aus- zugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Consulat geeignete Massregeln. Aus den Privatjournalen jener römischen penny-a-liners und diesen officiellen laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resume der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, aber blieb ohne eigentliche po- litische wie ohne litterarische Bedeutung. Zu der historischen Nebenlitteratur gehört von Rechts wegen FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Corre-spondenzlitteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegel- bild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verflüchtigte und verzettelte. — Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet; die litterarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenlitte- ratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein ver- breitete Sitte die für das Publicum bestimmten Notizen an öffent- lichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Da- gegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt für die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Aus- zugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Consulat geeignete Maſsregeln. Aus den Privatjournalen jener römischen penny-a-liners und diesen officiellen laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resumé der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, aber blieb ohne eigentliche po- litische wie ohne litterarische Bedeutung. Zu der historischen Nebenlitteratur gehört von Rechts wegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0580" n="570"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten<lb/> Politien, ihren Höhepunct in den Verhandlungen vor der Bürger-<lb/> schaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, collegialische<lb/> Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden,<lb/> die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Ver-<lb/> theidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [570/0580]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Corre-
spondenzlitteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegel-
bild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener
Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen
Treiben sich verflüchtigte und verzettelte. — Eine Journalistik
in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet;
die litterarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenlitte-
ratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein ver-
breitete Sitte die für das Publicum bestimmten Notizen an öffent-
lichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Da-
gegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt für die
abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten
aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Aus-
zugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem
ersten Consulat geeignete Maſsregeln. Aus den Privatjournalen
jener römischen penny-a-liners und diesen officiellen laufenden
Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt
(acta diurna), in dem das Resumé der vor dem Volke und im
Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und
dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht
unwichtige geschichtliche Quelle, aber blieb ohne eigentliche po-
litische wie ohne litterarische Bedeutung.
Zu der historischen Nebenlitteratur gehört von Rechts wegen
auch die Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht,
ist ihrer Natur nach ephemer und gehört der Litteratur nicht an;
indeſs kann auch sie wie der Bericht und der Brief, und sie noch
leichter als diese, durch die Prägnanz des Moments und die Macht
des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden
Schätze der nationalen Litteratur. So spielten denn auch in Rom
die Aufzeichnungen der vor der Bürgerschaft oder den Geschwor-
nen gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloſs seit langem
eine groſse Rolle in dem öffentlichen Leben, sondern es wurden
auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezählt
zu der klassischen römischen Litteratur. In dieser Epoche aber
tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein.
Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede
selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten
Politien, ihren Höhepunct in den Verhandlungen vor der Bürger-
schaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, collegialische
Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden,
die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Ver-
theidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen
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