Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LITTERATUR. Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scho-lien zu der älteren Litteratur, welche besonders für Plautus Si- senna, Varro und Andere lieferten; litterargeschichtliche Arbei- ten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schau- bühne, über die scenische Theilung der plautinischen Komödien und über die Aechtheit derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesammte ältere Geschichte und das aus der prakti- schen Jurisprudenz ausfallende Sacralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefasst in Varros fundamentalen und für alle Zei- ten fundamental gebliebenen ,Alterthümern der menschlichen und der göttlichen Dinge' (bekanntgemacht zwischen 687 u. 709). Die erste Hälfte ,von den menschlichen Dingen' schilderte die Urzeit Roms, die Land- und Stadteintheilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ,von den göttlichen Dingen' wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der Sachverständigencollegien, der heiligen Stätten, der religiösen Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst übersichtlich entwickelt. Dazu kam ausser einer Anzahl von Mono- graphien -- zum Beispiel über die Herkunft des römischen Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter, über die Districte -- als ein grösserer und selbstständigerer Nach- trag die Schrift ,vom Leben des römischen Volkes'; ein merk- würdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild des häuslichen, finanziellen und Culturzustandes in der Königs-, der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseiti- gen und in ihrer Art so grossartigen empirischen Kenntniss der römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie vor- oder nachher ein anderer Römer besessen hat, und zu der die lebendige Anschauung und das Studium der Litteratur gleich- mässig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohl- verdient, dass Varro seinen in ihrer eigenen Welt fremden Lands- leuten die Heimath gewiesen und die Römer kennen gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man ver- gebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trü- ben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, dass auch in der römischen der Schreiber von dem Einfluss des histo- rischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt; die Anlehnung an die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Män- Röm. Gesch. III. 37
LITTERATUR. Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scho-lien zu der älteren Litteratur, welche besonders für Plautus Si- senna, Varro und Andere lieferten; litterargeschichtliche Arbei- ten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schau- bühne, über die scenische Theilung der plautinischen Komödien und über die Aechtheit derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesammte ältere Geschichte und das aus der prakti- schen Jurisprudenz ausfallende Sacralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefaſst in Varros fundamentalen und für alle Zei- ten fundamental gebliebenen ‚Alterthümern der menschlichen und der göttlichen Dinge‘ (bekanntgemacht zwischen 687 u. 709). Die erste Hälfte ‚von den menschlichen Dingen‘ schilderte die Urzeit Roms, die Land- und Stadteintheilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ‚von den göttlichen Dingen‘ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der Sachverständigencollegien, der heiligen Stätten, der religiösen Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst übersichtlich entwickelt. Dazu kam auſser einer Anzahl von Mono- graphien — zum Beispiel über die Herkunft des römischen Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter, über die Districte — als ein gröſserer und selbstständigerer Nach- trag die Schrift ‚vom Leben des römischen Volkes‘; ein merk- würdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild des häuslichen, finanziellen und Culturzustandes in der Königs-, der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseiti- gen und in ihrer Art so groſsartigen empirischen Kenntniſs der römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie vor- oder nachher ein anderer Römer besessen hat, und zu der die lebendige Anschauung und das Studium der Litteratur gleich- mäſsig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohl- verdient, daſs Varro seinen in ihrer eigenen Welt fremden Lands- leuten die Heimath gewiesen und die Römer kennen gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man ver- gebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trü- ben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daſs auch in der römischen der Schreiber von dem Einfluſs des histo- rischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt; die Anlehnung an die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Män- Röm. Gesch. III. 37
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LITTERATUR.
Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scho-
lien zu der älteren Litteratur, welche besonders für Plautus Si-
senna, Varro und Andere lieferten; litterargeschichtliche Arbei-
ten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schau-
bühne, über die scenische Theilung der plautinischen Komödien
und über die Aechtheit derselben. Die lateinische Realphilologie,
welche die gesammte ältere Geschichte und das aus der prakti-
schen Jurisprudenz ausfallende Sacralrecht in ihren Kreis zog,
wurde zusammengefaſst in Varros fundamentalen und für alle Zei-
ten fundamental gebliebenen ‚Alterthümern der menschlichen und
der göttlichen Dinge‘ (bekanntgemacht zwischen 687 u. 709). Die
erste Hälfte ‚von den menschlichen Dingen‘ schilderte die Urzeit
Roms, die Land- und Stadteintheilung, die Wissenschaft von den
Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen
daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ‚von den göttlichen
Dingen‘ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung
der Sachverständigencollegien, der heiligen Stätten, der religiösen
Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst
übersichtlich entwickelt. Dazu kam auſser einer Anzahl von Mono-
graphien — zum Beispiel über die Herkunft des römischen
Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter,
über die Districte — als ein gröſserer und selbstständigerer Nach-
trag die Schrift ‚vom Leben des römischen Volkes‘; ein merk-
würdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild
des häuslichen, finanziellen und Culturzustandes in der Königs-,
der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten
Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseiti-
gen und in ihrer Art so groſsartigen empirischen Kenntniſs der
römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie
vor- oder nachher ein anderer Römer besessen hat, und zu der
die lebendige Anschauung und das Studium der Litteratur gleich-
mäſsig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohl-
verdient, daſs Varro seinen in ihrer eigenen Welt fremden Lands-
leuten die Heimath gewiesen und die Römer kennen gelehrt habe,
wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man ver-
gebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trü-
ben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daſs auch
in der römischen der Schreiber von dem Einfluſs des histo-
rischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl
in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber
methodisch weder gegliedert noch behandelt; die Anlehnung an
die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Män-
Röm. Gesch. III. 37
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