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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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STURZ DER OLIGARCHIE.
in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche
Unthaten moralisch mit verschuldeten. Die Opposition unterliess
es natürlich nicht auf dem fast allein ihr übrig gebliebenen Ter-
rain, dem gerichtlichen ihre Gegner anzugreifen. So zog der
junge Gaius Caesar, der auch, so weit sein Alter es gestattete,
sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunici-
schen Gewalt eifrig betheiligte, im J. 677 einen der angesehen-
sten sullanischen Parteimänner, den Consular Gnaeus Dolabella
und im folgenden Jahr einen andern sullanischen Offizier Gaius
Antonius vor Gericht; so Marcus Cicero 684 den Gaius Verres,
eine der elendesten unter den Creaturen Sullas und eine der
schlimmsten Geisseln der Provinzialen. Wieder und wieder wur-
den die Bilder jener finstern Zeit der Aechtungen, die entsetz-
lichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der rö-
mischen Criminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhe-
torik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versam-
melten Menge entfaltet und der gewaltige Todte so wie seine le-
benden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preis-
gegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunicischen Gewalt,
an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der
Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien,
die Wiedereinführung der ,strengen' Gerichte der Ritterschaft,
die Erneuerung der von Sulla beseitigten Censur zur Reinigung
der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Ele-
menten wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der
Volkspartei gefordert.

Indess mit alle dem kam man nicht weiter. Es gab Scandal
und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, dass
man die Regierung nach und über Verdienst prostituirte, doch
noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch,
so lange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der
hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies ,Volk', das in den Gas-
sen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze
machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat.
Zwar musste die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren
eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der
Erneuerung des sempronischen Korngesetzes. Allein daran war
nicht zu denken, dass diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar
um einer zweckmässigen Reform willen Ernst gemacht hätte.
Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was De-
mosthenes von seinen Athenern sagte: dass die Leute gar eifrig
thäten, so lange sie um die Rednerbühne ständen und die Vor-

STURZ DER OLIGARCHIE.
in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche
Unthaten moralisch mit verschuldeten. Die Opposition unterlieſs
es natürlich nicht auf dem fast allein ihr übrig gebliebenen Ter-
rain, dem gerichtlichen ihre Gegner anzugreifen. So zog der
junge Gaius Caesar, der auch, so weit sein Alter es gestattete,
sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunici-
schen Gewalt eifrig betheiligte, im J. 677 einen der angesehen-
sten sullanischen Parteimänner, den Consular Gnaeus Dolabella
und im folgenden Jahr einen andern sullanischen Offizier Gaius
Antonius vor Gericht; so Marcus Cicero 684 den Gaius Verres,
eine der elendesten unter den Creaturen Sullas und eine der
schlimmsten Geiſseln der Provinzialen. Wieder und wieder wur-
den die Bilder jener finstern Zeit der Aechtungen, die entsetz-
lichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der rö-
mischen Criminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhe-
torik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versam-
melten Menge entfaltet und der gewaltige Todte so wie seine le-
benden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preis-
gegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunicischen Gewalt,
an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der
Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien,
die Wiedereinführung der ‚strengen‘ Gerichte der Ritterschaft,
die Erneuerung der von Sulla beseitigten Censur zur Reinigung
der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Ele-
menten wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der
Volkspartei gefordert.

Indeſs mit alle dem kam man nicht weiter. Es gab Scandal
und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daſs
man die Regierung nach und über Verdienst prostituirte, doch
noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch,
so lange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der
hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies ‚Volk‘, das in den Gas-
sen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze
machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat.
Zwar muſste die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren
eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der
Erneuerung des sempronischen Korngesetzes. Allein daran war
nicht zu denken, daſs diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar
um einer zweckmäſsigen Reform willen Ernst gemacht hätte.
Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was De-
mosthenes von seinen Athenern sagte: daſs die Leute gar eifrig
thäten, so lange sie um die Rednerbühne ständen und die Vor-

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[87/0097] STURZ DER OLIGARCHIE. in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche Unthaten moralisch mit verschuldeten. Die Opposition unterlieſs es natürlich nicht auf dem fast allein ihr übrig gebliebenen Ter- rain, dem gerichtlichen ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, so weit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunici- schen Gewalt eifrig betheiligte, im J. 677 einen der angesehen- sten sullanischen Parteimänner, den Consular Gnaeus Dolabella und im folgenden Jahr einen andern sullanischen Offizier Gaius Antonius vor Gericht; so Marcus Cicero 684 den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Creaturen Sullas und eine der schlimmsten Geiſseln der Provinzialen. Wieder und wieder wur- den die Bilder jener finstern Zeit der Aechtungen, die entsetz- lichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der rö- mischen Criminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhe- torik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versam- melten Menge entfaltet und der gewaltige Todte so wie seine le- benden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preis- gegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunicischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien, die Wiedereinführung der ‚strengen‘ Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Censur zur Reinigung der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Ele- menten wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei gefordert. Indeſs mit alle dem kam man nicht weiter. Es gab Scandal und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daſs man die Regierung nach und über Verdienst prostituirte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, so lange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies ‚Volk‘, das in den Gas- sen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat. Zwar muſste die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung des sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, daſs diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmäſsigen Reform willen Ernst gemacht hätte. Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was De- mosthenes von seinen Athenern sagte: daſs die Leute gar eifrig thäten, so lange sie um die Rednerbühne ständen und die Vor-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/97>, abgerufen am 24.11.2024.