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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

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sich durch einen begangnen Mord den Tod zuzuziehn, und gestand, reflektirt zu haben, ob er an der Krankenwärterin, die ihn geschimpft hatte, den Mord ausüben solle, um sich zugleich zu rächen; oder an seinem noch schlafenden unschuldigen Kameraden, den er also da er gerade keine Sünde that umbringen wollte; wo denn wirklich das Letzte bei ihm die Oberhand behalten hatte. Dieser ermordete aus Lebensüberdruß ein Kind, das er so sehr liebte und um es recht fromm zu machen, viele Gebete und Sprüche aus der Bibel gelehrt hatte. Daß der Erste eine unschuldige, und der Zweite so gar eine von ihm geliebte Person zu diesem unglücklichen Vorhaben gewählt hatte, läßt sich auf folgende Art erklären. Die dem Menschen eingeprägte Liebe zum Leben ist so stark, daß wenn auch nach dem Kalkul der Vernunft die Quantität des zu erwartenden Uebels das Gute übersteigt, das mindeste Gute, welches hinzukömmt, den Entschluß zum Tode wankend machen kann. Derjenige also der nach dem Kalkul der Vernunft einen freiwilligen Tod beschlossen hat, ist geneigt, denselben auf die Art auszuführen, wodurch der Entschluß immer befestigt wird. Hätte er also die Umbringung seines Feindes als Mittel dazu gewählt, so wäre die Ausübung der Rache, als Befriedigung einer Begierde diesem Entschluß entgegen.

Er wählt daher lieber die Umbringung einer unschuldigen, oder sogar von ihm geliebten Person


sich durch einen begangnen Mord den Tod zuzuziehn, und gestand, reflektirt zu haben, ob er an der Krankenwaͤrterin, die ihn geschimpft hatte, den Mord ausuͤben solle, um sich zugleich zu raͤchen; oder an seinem noch schlafenden unschuldigen Kameraden, den er also da er gerade keine Suͤnde that umbringen wollte; wo denn wirklich das Letzte bei ihm die Oberhand behalten hatte. Dieser ermordete aus Lebensuͤberdruß ein Kind, das er so sehr liebte und um es recht fromm zu machen, viele Gebete und Spruͤche aus der Bibel gelehrt hatte. Daß der Erste eine unschuldige, und der Zweite so gar eine von ihm geliebte Person zu diesem ungluͤcklichen Vorhaben gewaͤhlt hatte, laͤßt sich auf folgende Art erklaͤren. Die dem Menschen eingepraͤgte Liebe zum Leben ist so stark, daß wenn auch nach dem Kalkul der Vernunft die Quantitaͤt des zu erwartenden Uebels das Gute uͤbersteigt, das mindeste Gute, welches hinzukoͤmmt, den Entschluß zum Tode wankend machen kann. Derjenige also der nach dem Kalkul der Vernunft einen freiwilligen Tod beschlossen hat, ist geneigt, denselben auf die Art auszufuͤhren, wodurch der Entschluß immer befestigt wird. Haͤtte er also die Umbringung seines Feindes als Mittel dazu gewaͤhlt, so waͤre die Ausuͤbung der Rache, als Befriedigung einer Begierde diesem Entschluß entgegen.

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[3/0005] sich durch einen begangnen Mord den Tod zuzuziehn, und gestand, reflektirt zu haben, ob er an der Krankenwaͤrterin, die ihn geschimpft hatte, den Mord ausuͤben solle, um sich zugleich zu raͤchen; oder an seinem noch schlafenden unschuldigen Kameraden, den er also da er gerade keine Suͤnde that umbringen wollte; wo denn wirklich das Letzte bei ihm die Oberhand behalten hatte. Dieser ermordete aus Lebensuͤberdruß ein Kind, das er so sehr liebte und um es recht fromm zu machen, viele Gebete und Spruͤche aus der Bibel gelehrt hatte. Daß der Erste eine unschuldige, und der Zweite so gar eine von ihm geliebte Person zu diesem ungluͤcklichen Vorhaben gewaͤhlt hatte, laͤßt sich auf folgende Art erklaͤren. Die dem Menschen eingepraͤgte Liebe zum Leben ist so stark, daß wenn auch nach dem Kalkul der Vernunft die Quantitaͤt des zu erwartenden Uebels das Gute uͤbersteigt, das mindeste Gute, welches hinzukoͤmmt, den Entschluß zum Tode wankend machen kann. Derjenige also der nach dem Kalkul der Vernunft einen freiwilligen Tod beschlossen hat, ist geneigt, denselben auf die Art auszufuͤhren, wodurch der Entschluß immer befestigt wird. Haͤtte er also die Umbringung seines Feindes als Mittel dazu gewaͤhlt, so waͤre die Ausuͤbung der Rache, als Befriedigung einer Begierde diesem Entschluß entgegen. Er waͤhlt daher lieber die Umbringung einer unschuldigen, oder sogar von ihm geliebten Person

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/5>, abgerufen am 21.11.2024.