Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft!

Setzen Sie einen Menschen in die bestmöglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn -- oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Bösen Lust macht, und eine Erbsünde, und wer weiß was alle noch für unerklärbare wunderliche Dinge.

Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich früh an Leiden und Entbehren gewöhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter beständiger Resignazion, meine Wünsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen möchte, würde aus meiner Eigenthümlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsätzen freilich nichts ändern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Glückseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wünsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille bürgerliche Häuslichkeit und Familien-Glück, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man glücklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn würde, daß


Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft!

Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn — oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge.

Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0089" n="87"/><lb/>
Addissen, heißt: entbehre, und                         schmachte nach einer bessern Zukunft!</p>
            <p>Setzen Sie einen Menschen in die bestmo&#x0364;glichste Gesellschaft, das ist in die,                         wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und                         er wird tugendhaft seyn &#x2014; oder es giebt einen Teufel, der <choice><corr>den</corr><sic>die</sic></choice> Menschen zum                         Bo&#x0364;sen Lust macht, und eine Erbsu&#x0364;nde, und wer weiß was alle noch fu&#x0364;r                         unerkla&#x0364;rbare wunderliche Dinge.</p>
            <p><hi rendition="#b">Er.</hi> Jhre Philosophie kann nie die meinige werden,                         so wie <choice><corr>Jhre</corr><sic>ihre</sic></choice>                         Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften,                         nur Hang; und da ich fru&#x0364;h an Leiden und Entbehren gewo&#x0364;hnt ward, so bekam ich                         dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein                         Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter besta&#x0364;ndiger Resignazion,                         meine Wu&#x0364;nsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen mo&#x0364;chte, wu&#x0364;rde aus meiner                         Eigenthu&#x0364;mlichkeit fließen, und kann in <choice><corr>Jhren</corr><sic>ihren</sic></choice> Grundsa&#x0364;tzen freilich nichts a&#x0364;ndern. Nur                         daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren                         Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu <choice><corr>Jhrer</corr><sic>ihrer</sic></choice> Glu&#x0364;ckseeligkeit                         scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wu&#x0364;nsche dann                         eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille                         bu&#x0364;rgerliche Ha&#x0364;uslichkeit und Familien-Glu&#x0364;ck, Wiederaufleben in seinen                         Kindern, in guten Menschen, die man glu&#x0364;cklich gemacht hat, Jhr einziger                         wahrer Genuß des Lebens seyn wu&#x0364;rde, daß<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0089] Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft! Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn — oder es giebt einen Teufel, der den Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge. Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie Jhre Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht' ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in Jhren Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu Jhrer Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/89
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/89>, abgerufen am 24.11.2024.