Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.am 30. Julius. Verlobt! Nein! Nein! Nein! Das ist eine infame Lüge. Sie kann nicht verlobt seyn, das ist so ein gewöhnliches Altweibergewäsch. Sie kann ihn ja wohl gekannt, auch wohl geliebt haben, aber seine Verlobte? -- Nein, das wird sie nicht seyn, das kann sie nicht seyn! Nein, Teufel, Nein! -- Wie könnte sie mich so heiß küssen, sich mir so hingeben? Was hätte sie mit mir vor? Und doch -- sagt' er nicht auch, ihre Mutter wisse darum, und sie wechselten noch immer Briefe? Wenn es nicht wahr ist, so helfe Dir Gott, Schwätzer! Es ist um rasend zu werden, blos um mich zu unterhalten, weil er sieht, daß mich sein Besuch und seine tausend und eine Stadtneuigkeiten immer mehr erschlaffen, daß ich vor Gähnen mich nicht mehr zu lassen weiß, fängt er vom Rath und der Räthin und von Jhr ein trostloses Geschwätz an, und würde mich toll geplaudert haben, wenn ich nicht mit Gewalt abgebrochen hätte. Jst man nicht ein Sklav, daß man sich solche unerträgliche Besuche muß gefallen lassen? Einen Dieb der mir mein Geld stielt, darf ich, nach Befinden auf der That umbringen, und wenns solch' einem Distelkopfe einfällt, mir alles, was mir für den Augenblick schätzbar ist, meine Zeit und meine am 30. Julius. Verlobt! Nein! Nein! Nein! Das ist eine infame Luͤge. Sie kann nicht verlobt seyn, das ist so ein gewoͤhnliches Altweibergewaͤsch. Sie kann ihn ja wohl gekannt, auch wohl geliebt haben, aber seine Verlobte? — Nein, das wird sie nicht seyn, das kann sie nicht seyn! Nein, Teufel, Nein! — Wie koͤnnte sie mich so heiß kuͤssen, sich mir so hingeben? Was haͤtte sie mit mir vor? Und doch — sagt' er nicht auch, ihre Mutter wisse darum, und sie wechselten noch immer Briefe? Wenn es nicht wahr ist, so helfe Dir Gott, Schwaͤtzer! Es ist um rasend zu werden, blos um mich zu unterhalten, weil er sieht, daß mich sein Besuch und seine tausend und eine Stadtneuigkeiten immer mehr erschlaffen, daß ich vor Gaͤhnen mich nicht mehr zu lassen weiß, faͤngt er vom Rath und der Raͤthin und von Jhr ein trostloses Geschwaͤtz an, und wuͤrde mich toll geplaudert haben, wenn ich nicht mit Gewalt abgebrochen haͤtte. Jst man nicht ein Sklav, daß man sich solche unertraͤgliche Besuche muß gefallen lassen? Einen Dieb der mir mein Geld stielt, darf ich, nach Befinden auf der That umbringen, und wenns solch' einem Distelkopfe einfaͤllt, mir alles, was mir fuͤr den Augenblick schaͤtzbar ist, meine Zeit und meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0098" n="98"/><lb/> <div n="4"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">am 30. Julius.</hi> </dateline> </opener> <p>Verlobt! Nein! Nein! Nein! Das ist eine infame Luͤge. Sie kann nicht verlobt seyn, das ist so ein gewoͤhnliches Altweibergewaͤsch. Sie kann ihn ja wohl gekannt, auch wohl geliebt haben, aber seine Verlobte? — Nein, das wird sie nicht seyn, das kann sie nicht seyn! Nein, Teufel, Nein! — Wie koͤnnte sie mich so heiß kuͤssen, sich mir so hingeben? Was haͤtte sie mit mir vor? Und doch — sagt' er nicht auch, ihre Mutter wisse darum, und sie wechselten noch immer Briefe? Wenn es nicht wahr ist, so helfe Dir Gott, Schwaͤtzer!</p> <p>Es ist um rasend zu werden, blos um mich zu unterhalten, weil er sieht, daß mich sein Besuch und seine tausend und eine Stadtneuigkeiten immer mehr erschlaffen, daß ich vor Gaͤhnen mich nicht mehr zu lassen weiß, faͤngt er vom Rath und der Raͤthin und von Jhr ein trostloses Geschwaͤtz an, und wuͤrde mich toll geplaudert haben, wenn ich nicht mit Gewalt abgebrochen haͤtte.</p> <p>Jst man nicht ein Sklav, daß man sich solche unertraͤgliche Besuche muß gefallen lassen? Einen Dieb der mir mein Geld stielt, darf ich, nach Befinden auf der That umbringen, und wenns solch' <choice><corr>einem</corr><sic>einen</sic></choice> Distelkopfe einfaͤllt, mir alles, was mir fuͤr den Augenblick schaͤtzbar ist, meine Zeit und meine<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0098]
am 30. Julius. Verlobt! Nein! Nein! Nein! Das ist eine infame Luͤge. Sie kann nicht verlobt seyn, das ist so ein gewoͤhnliches Altweibergewaͤsch. Sie kann ihn ja wohl gekannt, auch wohl geliebt haben, aber seine Verlobte? — Nein, das wird sie nicht seyn, das kann sie nicht seyn! Nein, Teufel, Nein! — Wie koͤnnte sie mich so heiß kuͤssen, sich mir so hingeben? Was haͤtte sie mit mir vor? Und doch — sagt' er nicht auch, ihre Mutter wisse darum, und sie wechselten noch immer Briefe? Wenn es nicht wahr ist, so helfe Dir Gott, Schwaͤtzer!
Es ist um rasend zu werden, blos um mich zu unterhalten, weil er sieht, daß mich sein Besuch und seine tausend und eine Stadtneuigkeiten immer mehr erschlaffen, daß ich vor Gaͤhnen mich nicht mehr zu lassen weiß, faͤngt er vom Rath und der Raͤthin und von Jhr ein trostloses Geschwaͤtz an, und wuͤrde mich toll geplaudert haben, wenn ich nicht mit Gewalt abgebrochen haͤtte.
Jst man nicht ein Sklav, daß man sich solche unertraͤgliche Besuche muß gefallen lassen? Einen Dieb der mir mein Geld stielt, darf ich, nach Befinden auf der That umbringen, und wenns solch' einem Distelkopfe einfaͤllt, mir alles, was mir fuͤr den Augenblick schaͤtzbar ist, meine Zeit und meine
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
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