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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

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Anmerkung.

Dieses kann allenfalls als der Grund einerfalschen Religiosität, nicht aber als Grund der Schwärmerei betrachtet werden. Jch bin weit entfernt zu behaupten, daß die Seele des Schwärmers nicht genug, sondern behaupte vielmehr daß sie mehr als genug sich ausbreiten wollende Kraft besitzt.

Schwärmerei hat mit der Philosophie einerlei Ursprung, nämlich den Trieb nach Erweiterung der Erkenntniß, nur in der Art, wie beide diesen Trieb zu befriedigen suchen, sind sie von einander unterschieden. Die Philosophie sucht die ersten Gründe der menschlichen Erkenntniß in der Seele selbst auf, die Data zu dieser Erkenntniß aber sucht sie anderwärts zu erlangen. Die Schwärmerei hingegen sucht selbst diese Data in der Seele auf. Nicht aus Mangel an einer sich ausbreiten wollenden Kraft, sondern weil sie völlig (sowohl der Form als der Materie nach) bestimmte Erkenntniß in der Seele selbst zu finden glaubt. Da aber vor aller Erfahrung in der Seele selbst keine bestimmte Erkenntniß anzutreffen ist, so sucht die Seele des Schwärmers diesen Mangel durch allerhand Fikzionen zu ersetzen; und da sie immer Grund findet, mit diesen Fikzionen nicht völlig zufrieden zu seyn, so sucht sie immer dieselben zu verbessern und anders zu modeln; dieses kann freilich nicht anders (da es ihr an objektiver


Anmerkung.

Dieses kann allenfalls als der Grund einerfalschen Religiositaͤt, nicht aber als Grund der Schwaͤrmerei betrachtet werden. Jch bin weit entfernt zu behaupten, daß die Seele des Schwaͤrmers nicht genug, sondern behaupte vielmehr daß sie mehr als genug sich ausbreiten wollende Kraft besitzt.

Schwaͤrmerei hat mit der Philosophie einerlei Ursprung, naͤmlich den Trieb nach Erweiterung der Erkenntniß, nur in der Art, wie beide diesen Trieb zu befriedigen suchen, sind sie von einander unterschieden. Die Philosophie sucht die ersten Gruͤnde der menschlichen Erkenntniß in der Seele selbst auf, die Data zu dieser Erkenntniß aber sucht sie anderwaͤrts zu erlangen. Die Schwaͤrmerei hingegen sucht selbst diese Data in der Seele auf. Nicht aus Mangel an einer sich ausbreiten wollenden Kraft, sondern weil sie voͤllig (sowohl der Form als der Materie nach) bestimmte Erkenntniß in der Seele selbst zu finden glaubt. Da aber vor aller Erfahrung in der Seele selbst keine bestimmte Erkenntniß anzutreffen ist, so sucht die Seele des Schwaͤrmers diesen Mangel durch allerhand Fikzionen zu ersetzen; und da sie immer Grund findet, mit diesen Fikzionen nicht voͤllig zufrieden zu seyn, so sucht sie immer dieselben zu verbessern und anders zu modeln; dieses kann freilich nicht anders (da es ihr an objektiver

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[117/0117] Anmerkung. Dieses kann allenfalls als der Grund einerfalschen Religiositaͤt, nicht aber als Grund der Schwaͤrmerei betrachtet werden. Jch bin weit entfernt zu behaupten, daß die Seele des Schwaͤrmers nicht genug, sondern behaupte vielmehr daß sie mehr als genug sich ausbreiten wollende Kraft besitzt. Schwaͤrmerei hat mit der Philosophie einerlei Ursprung, naͤmlich den Trieb nach Erweiterung der Erkenntniß, nur in der Art, wie beide diesen Trieb zu befriedigen suchen, sind sie von einander unterschieden. Die Philosophie sucht die ersten Gruͤnde der menschlichen Erkenntniß in der Seele selbst auf, die Data zu dieser Erkenntniß aber sucht sie anderwaͤrts zu erlangen. Die Schwaͤrmerei hingegen sucht selbst diese Data in der Seele auf. Nicht aus Mangel an einer sich ausbreiten wollenden Kraft, sondern weil sie voͤllig (sowohl der Form als der Materie nach) bestimmte Erkenntniß in der Seele selbst zu finden glaubt. Da aber vor aller Erfahrung in der Seele selbst keine bestimmte Erkenntniß anzutreffen ist, so sucht die Seele des Schwaͤrmers diesen Mangel durch allerhand Fikzionen zu ersetzen; und da sie immer Grund findet, mit diesen Fikzionen nicht voͤllig zufrieden zu seyn, so sucht sie immer dieselben zu verbessern und anders zu modeln; dieses kann freilich nicht anders (da es ihr an objektiver

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/117>, abgerufen am 22.12.2024.