Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

"Jch hatte, erzählte er von sich selbst, die Gewohnheit, worüber sich die meisten verwundert haben, daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst aufsuchte. Dadurch gieng ich der Krankheit erregenden Ursache entgegen, indem ich glaubte, daß das Vergnügen in dem vorhergestillten Schmerz bestehe, und daß, wenn derselbe willkührlich sey, er auch leicht gestillt werden könne; und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals ohne Schmerz ganz frei seyn kann, so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so beschwerlicher Gemüthsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der Schmerz, oder eine Ursache des Schmerzens, vorausgesetzt, daß sie nicht schändlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang, den ich im schmerzlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel mich selbst zu quälen erfunden u.s.w."

Er strebte nach einem unsterblichen Ruhm. Er hatte keine festgesetzte Lebensart gewählt, sondern bestimmte sich hierin, der Veränderlichkeit der Dinge in dieser Welt gemäß, nach den Zeitumständen. Festen Plänen zu folgen fehlten ihm alle Hülfsmittel. Er hielt dies auch der Mühe nicht werth, da er sowohl aus astrologischen als andern Gründen nicht lange zu leben glaubte. Er überließ sich daher den Vergnügungen und der Nothwendigkeit, und handelte öfters sehr unweise.


»Jch hatte, erzaͤhlte er von sich selbst, die Gewohnheit, woruͤber sich die meisten verwundert haben, daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst aufsuchte. Dadurch gieng ich der Krankheit erregenden Ursache entgegen, indem ich glaubte, daß das Vergnuͤgen in dem vorhergestillten Schmerz bestehe, und daß, wenn derselbe willkuͤhrlich sey, er auch leicht gestillt werden koͤnne; und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals ohne Schmerz ganz frei seyn kann, so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so beschwerlicher Gemuͤthsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der Schmerz, oder eine Ursache des Schmerzens, vorausgesetzt, daß sie nicht schaͤndlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang, den ich im schmerzlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel mich selbst zu quaͤlen erfunden u.s.w.«

Er strebte nach einem unsterblichen Ruhm. Er hatte keine festgesetzte Lebensart gewaͤhlt, sondern bestimmte sich hierin, der Veraͤnderlichkeit der Dinge in dieser Welt gemaͤß, nach den Zeitumstaͤnden. Festen Plaͤnen zu folgen fehlten ihm alle Huͤlfsmittel. Er hielt dies auch der Muͤhe nicht werth, da er sowohl aus astrologischen als andern Gruͤnden nicht lange zu leben glaubte. Er uͤberließ sich daher den Vergnuͤgungen und der Nothwendigkeit, und handelte oͤfters sehr unweise.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0086" n="86"/><lb/>
            <p>»Jch hatte, erza&#x0364;hlte er                         von sich selbst, die Gewohnheit, woru&#x0364;ber sich die meisten verwundert haben,                         daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst                         aufsuchte. Dadurch gieng ich der Krankheit erregenden Ursache entgegen,                         indem ich glaubte, daß das Vergnu&#x0364;gen in dem vorhergestillten Schmerz                         bestehe, und daß, wenn derselbe willku&#x0364;hrlich sey, er auch leicht gestillt                         werden ko&#x0364;nne; und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals ohne Schmerz ganz                         frei seyn kann, so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so                         beschwerlicher Gemu&#x0364;thsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der                         Schmerz, oder eine Ursache des Schmerzens, vorausgesetzt, daß sie nicht                         scha&#x0364;ndlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang,                         den ich im schmerzlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel mich                         selbst zu qua&#x0364;len erfunden u.s.w.«</p>
            <p>Er strebte nach einem unsterblichen                         Ruhm. Er hatte keine festgesetzte Lebensart gewa&#x0364;hlt, sondern bestimmte sich                         hierin, der Vera&#x0364;nderlichkeit der Dinge in dieser Welt gema&#x0364;ß, nach den                         Zeitumsta&#x0364;nden. Festen Pla&#x0364;nen zu folgen fehlten ihm alle Hu&#x0364;lfsmittel. Er                         hielt dies auch der Mu&#x0364;he nicht werth, da er sowohl aus astrologischen als                         andern Gru&#x0364;nden nicht lange zu leben glaubte. Er u&#x0364;berließ sich daher den                         Vergnu&#x0364;gungen und der Nothwendigkeit, und handelte o&#x0364;fters sehr                         unweise.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0086] »Jch hatte, erzaͤhlte er von sich selbst, die Gewohnheit, woruͤber sich die meisten verwundert haben, daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst aufsuchte. Dadurch gieng ich der Krankheit erregenden Ursache entgegen, indem ich glaubte, daß das Vergnuͤgen in dem vorhergestillten Schmerz bestehe, und daß, wenn derselbe willkuͤhrlich sey, er auch leicht gestillt werden koͤnne; und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals ohne Schmerz ganz frei seyn kann, so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so beschwerlicher Gemuͤthsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der Schmerz, oder eine Ursache des Schmerzens, vorausgesetzt, daß sie nicht schaͤndlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang, den ich im schmerzlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel mich selbst zu quaͤlen erfunden u.s.w.« Er strebte nach einem unsterblichen Ruhm. Er hatte keine festgesetzte Lebensart gewaͤhlt, sondern bestimmte sich hierin, der Veraͤnderlichkeit der Dinge in dieser Welt gemaͤß, nach den Zeitumstaͤnden. Festen Plaͤnen zu folgen fehlten ihm alle Huͤlfsmittel. Er hielt dies auch der Muͤhe nicht werth, da er sowohl aus astrologischen als andern Gruͤnden nicht lange zu leben glaubte. Er uͤberließ sich daher den Vergnuͤgungen und der Nothwendigkeit, und handelte oͤfters sehr unweise.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/86
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/86>, abgerufen am 28.12.2024.