Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Die traurigen Verzerrungen ihrer Gesichter, oder vielleicht auch bisweilen das unwillkührliche bittere Lächeln über meine ausschweifende Phantasien, kamen meinem trunknen Gehirne als Züge der ausgelassensten Freude vor: und ihr freundschaftliches Betragen und Gebehrden war mir nichts als beleidigender Hohn. Jch kränkte und quälte diese gute Leute auf eine erstaunliche Weise, und ich fange an auf die Menschheit stolz zu werden, die so viel Selbstverleugnung dem Gefühle der Freundschaft und der Menschenliebe zu opfern vermag. Die Ursache dieses Mißtrauens hing vermuthlich mit meiner ebenerwehnten Einbildung, dem Mißtrauen gegen die ganze Welt zusammen. Dazu kam, daß dieses grade die Leute waren, an denen ich sonst das gefälligste und nachgebendste Betragen gewohnt war, und die nun alles thaten, was in meiner Schwärmerei mir höchst zuwider war. Sie zwangen mir Medizin ein, wollten mich nicht aus dem Bette lassen, quälten meinen Körper äusserlich mit Zugpflaster und allerhand schmerzhaften Dingen, und widersetzten sich allen meinen Anschlägen und Vorsätzen. Was anders konnte auf eine verrückte Einbildung dieses wirken als den bittersten Haß und Widerwillen? Meine übrigen Phantasien waren vielleicht die gemeinsten, die jedem Delirio eigen sind. Die
Die traurigen Verzerrungen ihrer Gesichter, oder vielleicht auch bisweilen das unwillkuͤhrliche bittere Laͤcheln uͤber meine ausschweifende Phantasien, kamen meinem trunknen Gehirne als Zuͤge der ausgelassensten Freude vor: und ihr freundschaftliches Betragen und Gebehrden war mir nichts als beleidigender Hohn. Jch kraͤnkte und quaͤlte diese gute Leute auf eine erstaunliche Weise, und ich fange an auf die Menschheit stolz zu werden, die so viel Selbstverleugnung dem Gefuͤhle der Freundschaft und der Menschenliebe zu opfern vermag. Die Ursache dieses Mißtrauens hing vermuthlich mit meiner ebenerwehnten Einbildung, dem Mißtrauen gegen die ganze Welt zusammen. Dazu kam, daß dieses grade die Leute waren, an denen ich sonst das gefaͤlligste und nachgebendste Betragen gewohnt war, und die nun alles thaten, was in meiner Schwaͤrmerei mir hoͤchst zuwider war. Sie zwangen mir Medizin ein, wollten mich nicht aus dem Bette lassen, quaͤlten meinen Koͤrper aͤusserlich mit Zugpflaster und allerhand schmerzhaften Dingen, und widersetzten sich allen meinen Anschlaͤgen und Vorsaͤtzen. Was anders konnte auf eine verruͤckte Einbildung dieses wirken als den bittersten Haß und Widerwillen? Meine uͤbrigen Phantasien waren vielleicht die gemeinsten, die jedem Delirio eigen sind. Die <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0064" n="60"/><lb/> und von meiner empfindlichsten Seite mich zu kraͤnken, um mich waͤren. </p> <p>Die traurigen Verzerrungen ihrer Gesichter, oder vielleicht auch bisweilen das unwillkuͤhrliche bittere Laͤcheln uͤber meine ausschweifende Phantasien, kamen meinem trunknen Gehirne als Zuͤge der ausgelassensten Freude vor: und ihr freundschaftliches Betragen und Gebehrden war mir nichts als beleidigender Hohn. Jch kraͤnkte und quaͤlte diese gute Leute auf eine erstaunliche Weise, und ich fange an auf die Menschheit stolz zu werden, die so viel Selbstverleugnung dem Gefuͤhle der Freundschaft und der Menschenliebe zu opfern vermag. </p> <p>Die Ursache dieses Mißtrauens hing vermuthlich mit meiner ebenerwehnten Einbildung, dem Mißtrauen gegen die ganze Welt zusammen. Dazu kam, daß dieses grade die Leute waren, an denen ich sonst das gefaͤlligste und nachgebendste Betragen gewohnt war, und die nun alles thaten, was in meiner Schwaͤrmerei mir hoͤchst zuwider war. Sie zwangen mir Medizin ein, wollten mich nicht aus dem Bette lassen, quaͤlten meinen Koͤrper aͤusserlich mit Zugpflaster und allerhand schmerzhaften Dingen, und widersetzten sich allen meinen Anschlaͤgen und Vorsaͤtzen. Was anders konnte auf eine verruͤckte Einbildung dieses wirken als den bittersten Haß und Widerwillen? </p> <p>Meine uͤbrigen Phantasien waren vielleicht die gemeinsten, die jedem Delirio eigen sind. Die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0064]
und von meiner empfindlichsten Seite mich zu kraͤnken, um mich waͤren.
Die traurigen Verzerrungen ihrer Gesichter, oder vielleicht auch bisweilen das unwillkuͤhrliche bittere Laͤcheln uͤber meine ausschweifende Phantasien, kamen meinem trunknen Gehirne als Zuͤge der ausgelassensten Freude vor: und ihr freundschaftliches Betragen und Gebehrden war mir nichts als beleidigender Hohn. Jch kraͤnkte und quaͤlte diese gute Leute auf eine erstaunliche Weise, und ich fange an auf die Menschheit stolz zu werden, die so viel Selbstverleugnung dem Gefuͤhle der Freundschaft und der Menschenliebe zu opfern vermag.
Die Ursache dieses Mißtrauens hing vermuthlich mit meiner ebenerwehnten Einbildung, dem Mißtrauen gegen die ganze Welt zusammen. Dazu kam, daß dieses grade die Leute waren, an denen ich sonst das gefaͤlligste und nachgebendste Betragen gewohnt war, und die nun alles thaten, was in meiner Schwaͤrmerei mir hoͤchst zuwider war. Sie zwangen mir Medizin ein, wollten mich nicht aus dem Bette lassen, quaͤlten meinen Koͤrper aͤusserlich mit Zugpflaster und allerhand schmerzhaften Dingen, und widersetzten sich allen meinen Anschlaͤgen und Vorsaͤtzen. Was anders konnte auf eine verruͤckte Einbildung dieses wirken als den bittersten Haß und Widerwillen?
Meine uͤbrigen Phantasien waren vielleicht die gemeinsten, die jedem Delirio eigen sind. Die
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/64>, abgerufen am 27.07.2024. |