Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Wenn sie erwachte, und von ihrem Wahnwitze befreit war, fühlte sie sich sehr schwach; aber bald kam sie wieder zu Kräften, und befand sich um nichts schlimmer; im Gegentheil, hatte man sie im Laufen gehindert, so war sie um ein großes kränker. War sie nun zu sich selbst gekommen, so hatte sie nicht die geringste Erinnerung von dem, was sich während ihres Schlafes zugetragen hatte. Manchmal pflegte sie auch wohl auf dem obern Rande der irdenen Mauer herumzulaufen, die ihres Vaters kleinen Garten umgab, und, obgleich die Mauer eine unregelmäßige Figur hatte, auch oben sehr schmal war, fiel sie doch nie herunter, noch von der Spitze des Hauses, wohinauf sie sich zuweilen mit Hülfe dieser Mauer half, ohne daß sich ihre Augen auch dabei im geringsten eröfneten. Einige Zeit, ehe die Krankheit sie verließ, träumte sie, wie sie erzählte, das Wasser eines benachbarten Brunnens, genannt Tropfbrunnen, werde sie heilen. Dem zu folge trank sie in reichem Maaße davon, sowol ausser als während des Paroxismus. Einsmals in demselben äusserte sie durch Zeichen eine heftige Begierde davon zu trinken, (denn in dem Anfall sprach sie nicht deutlich genug, um verstanden zu werden.) Und, da man ihr anderes Wasser brachte, ließ sie es sich nicht nahe
Wenn sie erwachte, und von ihrem Wahnwitze befreit war, fuͤhlte sie sich sehr schwach; aber bald kam sie wieder zu Kraͤften, und befand sich um nichts schlimmer; im Gegentheil, hatte man sie im Laufen gehindert, so war sie um ein großes kraͤnker. War sie nun zu sich selbst gekommen, so hatte sie nicht die geringste Erinnerung von dem, was sich waͤhrend ihres Schlafes zugetragen hatte. Manchmal pflegte sie auch wohl auf dem obern Rande der irdenen Mauer herumzulaufen, die ihres Vaters kleinen Garten umgab, und, obgleich die Mauer eine unregelmaͤßige Figur hatte, auch oben sehr schmal war, fiel sie doch nie herunter, noch von der Spitze des Hauses, wohinauf sie sich zuweilen mit Huͤlfe dieser Mauer half, ohne daß sich ihre Augen auch dabei im geringsten eroͤfneten. Einige Zeit, ehe die Krankheit sie verließ, traͤumte sie, wie sie erzaͤhlte, das Wasser eines benachbarten Brunnens, genannt Tropfbrunnen, werde sie heilen. Dem zu folge trank sie in reichem Maaße davon, sowol ausser als waͤhrend des Paroxismus. Einsmals in demselben aͤusserte sie durch Zeichen eine heftige Begierde davon zu trinken, (denn in dem Anfall sprach sie nicht deutlich genug, um verstanden zu werden.) Und, da man ihr anderes Wasser brachte, ließ sie es sich nicht nahe <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0080" n="76"/><lb/> sie beissen koͤnnten, behauptete sie, sie wolle <hi rendition="#b">den</hi> Weg laufen und keinen andern. </p> <p>Wenn sie erwachte, und von ihrem Wahnwitze befreit war, fuͤhlte sie sich sehr schwach; aber bald kam sie wieder zu Kraͤften, und befand sich um nichts schlimmer; im Gegentheil, hatte man sie im Laufen gehindert, so war sie um ein großes kraͤnker. War sie nun zu sich selbst gekommen, so hatte sie nicht die geringste Erinnerung von dem, was sich waͤhrend ihres Schlafes zugetragen hatte. Manchmal pflegte sie auch wohl auf dem obern Rande der irdenen Mauer herumzulaufen, die ihres Vaters kleinen Garten umgab, und, obgleich die Mauer eine unregelmaͤßige Figur hatte, auch oben sehr schmal war, fiel sie doch nie herunter, noch von der Spitze des Hauses, wohinauf sie sich zuweilen mit Huͤlfe dieser Mauer half, ohne daß sich ihre Augen auch dabei im geringsten eroͤfneten. </p> <p>Einige Zeit, ehe die Krankheit sie verließ, traͤumte sie, wie sie erzaͤhlte, das Wasser eines benachbarten Brunnens, genannt Tropfbrunnen, werde sie heilen. Dem zu folge trank sie in reichem Maaße davon, sowol ausser als waͤhrend des Paroxismus. Einsmals in demselben aͤusserte sie durch Zeichen eine heftige Begierde davon zu trinken, (denn in dem Anfall sprach sie nicht deutlich genug, um verstanden zu werden.) Und, da man ihr anderes Wasser brachte, ließ sie es sich nicht nahe<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0080]
sie beissen koͤnnten, behauptete sie, sie wolle den Weg laufen und keinen andern.
Wenn sie erwachte, und von ihrem Wahnwitze befreit war, fuͤhlte sie sich sehr schwach; aber bald kam sie wieder zu Kraͤften, und befand sich um nichts schlimmer; im Gegentheil, hatte man sie im Laufen gehindert, so war sie um ein großes kraͤnker. War sie nun zu sich selbst gekommen, so hatte sie nicht die geringste Erinnerung von dem, was sich waͤhrend ihres Schlafes zugetragen hatte. Manchmal pflegte sie auch wohl auf dem obern Rande der irdenen Mauer herumzulaufen, die ihres Vaters kleinen Garten umgab, und, obgleich die Mauer eine unregelmaͤßige Figur hatte, auch oben sehr schmal war, fiel sie doch nie herunter, noch von der Spitze des Hauses, wohinauf sie sich zuweilen mit Huͤlfe dieser Mauer half, ohne daß sich ihre Augen auch dabei im geringsten eroͤfneten.
Einige Zeit, ehe die Krankheit sie verließ, traͤumte sie, wie sie erzaͤhlte, das Wasser eines benachbarten Brunnens, genannt Tropfbrunnen, werde sie heilen. Dem zu folge trank sie in reichem Maaße davon, sowol ausser als waͤhrend des Paroxismus. Einsmals in demselben aͤusserte sie durch Zeichen eine heftige Begierde davon zu trinken, (denn in dem Anfall sprach sie nicht deutlich genug, um verstanden zu werden.) Und, da man ihr anderes Wasser brachte, ließ sie es sich nicht nahe
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