Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


damals hatte sie gesagt, daß sie dies Kind nicht lange überleben würde. Aufs folgende Jahr würde sie im Monath Januar wieder entbunden werden und in diesen Sechswochen würde sie sterben.

Jhr Mann, ein sehr vernünftiger Mann, der sie zugleich ungemein zärtlich liebte, stellte ihrem Vorgeben mancherlei Gründe entgegen, wie niemand sein Ende wissen könne, und sich nicht vor der Zeit unnöthigen Kummer machen müsse u.d.m., allein man konnte ihr diese Meinung nicht aus dem Sinne reden -- Genug sie fühlte sich einige Monathe darauf würklich in andern Umständen und dachte also auch desto lebhafter an ihr Ende.

Sehr oft fand ihr Mann, wenn er von seinen Geschäften nach Hause kam, sie in Sterbensbetrachtungen vertieft, sehr oft auch in vielen Thränen, die sie jedoch nicht eigentlich wegen ihres, wie sie glaubte, bevorstehenden Todes willen vergoß, sondern vielmehr um einiger Gewissensangelegenheiten willen, die ihr beständigen Kummer verursachten.

Sie ward hierauf würklich im vergangnen Monath Januar gerade zu derselben Zeit, ja an diesem Tage entbunden, an welchem ihr Kind voriges Jahr gestorben war -- Doch lebte dies Kind auch nur einige Wochen, worüber sich indeß die Mutter gar nicht betrübte, weil es ihrem Manne, wie sie sagte, nur eine desto größre Last seyn würde. Uebrigens war die Geburt, wenn auch schwer, doch glück-


damals hatte sie gesagt, daß sie dies Kind nicht lange uͤberleben wuͤrde. Aufs folgende Jahr wuͤrde sie im Monath Januar wieder entbunden werden und in diesen Sechswochen wuͤrde sie sterben.

Jhr Mann, ein sehr vernuͤnftiger Mann, der sie zugleich ungemein zaͤrtlich liebte, stellte ihrem Vorgeben mancherlei Gruͤnde entgegen, wie niemand sein Ende wissen koͤnne, und sich nicht vor der Zeit unnoͤthigen Kummer machen muͤsse u.d.m., allein man konnte ihr diese Meinung nicht aus dem Sinne reden — Genug sie fuͤhlte sich einige Monathe darauf wuͤrklich in andern Umstaͤnden und dachte also auch desto lebhafter an ihr Ende.

Sehr oft fand ihr Mann, wenn er von seinen Geschaͤften nach Hause kam, sie in Sterbensbetrachtungen vertieft, sehr oft auch in vielen Thraͤnen, die sie jedoch nicht eigentlich wegen ihres, wie sie glaubte, bevorstehenden Todes willen vergoß, sondern vielmehr um einiger Gewissensangelegenheiten willen, die ihr bestaͤndigen Kummer verursachten.

Sie ward hierauf wuͤrklich im vergangnen Monath Januar gerade zu derselben Zeit, ja an diesem Tage entbunden, an welchem ihr Kind voriges Jahr gestorben war — Doch lebte dies Kind auch nur einige Wochen, woruͤber sich indeß die Mutter gar nicht betruͤbte, weil es ihrem Manne, wie sie sagte, nur eine desto groͤßre Last seyn wuͤrde. Uebrigens war die Geburt, wenn auch schwer, doch gluͤck-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0083" n="79"/><lb/>
damals hatte sie gesagt, daß sie dies Kind nicht lange                         u&#x0364;berleben wu&#x0364;rde. Aufs folgende Jahr wu&#x0364;rde sie im Monath Januar wieder                         entbunden werden und in diesen Sechswochen wu&#x0364;rde sie sterben. </p>
          <p>Jhr Mann, ein sehr vernu&#x0364;nftiger Mann, der sie zugleich ungemein za&#x0364;rtlich                         liebte, stellte ihrem Vorgeben mancherlei Gru&#x0364;nde entgegen, wie niemand sein                         Ende wissen ko&#x0364;nne, und sich nicht vor der Zeit unno&#x0364;thigen Kummer machen                         mu&#x0364;sse u.d.m., allein man konnte ihr diese Meinung nicht aus dem Sinne reden                         &#x2014; Genug sie fu&#x0364;hlte sich einige Monathe darauf wu&#x0364;rklich in andern Umsta&#x0364;nden                         und dachte also auch desto lebhafter an ihr Ende. </p>
          <p>Sehr oft fand ihr Mann, wenn er von seinen Gescha&#x0364;ften nach Hause kam, sie in                         Sterbensbetrachtungen vertieft, sehr oft auch in vielen Thra&#x0364;nen, die sie                         jedoch nicht eigentlich wegen ihres, wie sie glaubte, bevorstehenden Todes                         willen vergoß, sondern vielmehr um einiger Gewissensangelegenheiten willen,                         die ihr besta&#x0364;ndigen Kummer verursachten. </p>
          <p>Sie ward hierauf wu&#x0364;rklich im vergangnen Monath Januar gerade zu derselben                         Zeit, ja an diesem Tage entbunden, an welchem ihr Kind voriges Jahr                         gestorben war &#x2014; Doch lebte dies Kind auch nur einige Wochen, woru&#x0364;ber sich                         indeß die Mutter gar nicht betru&#x0364;bte, weil es ihrem Manne, wie sie sagte, nur                         eine desto gro&#x0364;ßre Last seyn wu&#x0364;rde. Uebrigens war die Geburt, wenn auch                         schwer, doch glu&#x0364;ck-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0083] damals hatte sie gesagt, daß sie dies Kind nicht lange uͤberleben wuͤrde. Aufs folgende Jahr wuͤrde sie im Monath Januar wieder entbunden werden und in diesen Sechswochen wuͤrde sie sterben. Jhr Mann, ein sehr vernuͤnftiger Mann, der sie zugleich ungemein zaͤrtlich liebte, stellte ihrem Vorgeben mancherlei Gruͤnde entgegen, wie niemand sein Ende wissen koͤnne, und sich nicht vor der Zeit unnoͤthigen Kummer machen muͤsse u.d.m., allein man konnte ihr diese Meinung nicht aus dem Sinne reden — Genug sie fuͤhlte sich einige Monathe darauf wuͤrklich in andern Umstaͤnden und dachte also auch desto lebhafter an ihr Ende. Sehr oft fand ihr Mann, wenn er von seinen Geschaͤften nach Hause kam, sie in Sterbensbetrachtungen vertieft, sehr oft auch in vielen Thraͤnen, die sie jedoch nicht eigentlich wegen ihres, wie sie glaubte, bevorstehenden Todes willen vergoß, sondern vielmehr um einiger Gewissensangelegenheiten willen, die ihr bestaͤndigen Kummer verursachten. Sie ward hierauf wuͤrklich im vergangnen Monath Januar gerade zu derselben Zeit, ja an diesem Tage entbunden, an welchem ihr Kind voriges Jahr gestorben war — Doch lebte dies Kind auch nur einige Wochen, woruͤber sich indeß die Mutter gar nicht betruͤbte, weil es ihrem Manne, wie sie sagte, nur eine desto groͤßre Last seyn wuͤrde. Uebrigens war die Geburt, wenn auch schwer, doch gluͤck-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/83
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/83>, abgerufen am 28.11.2024.