Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


nicht ad bene beateque vivendum nöthig sind. Den schönen Wissenschaften, die die Einbildungskraft auf die Folter englischen Spleens spannen, oder ein paar körnichte Jdeen in einem Meere von faden und süssem Gewäsch ersäufen, bin ich nicht gut. Man kann mir viel Geld bieten, um mich zum Lesen eines Trauerspiels, oder Romans, wenns nicht etwa ein Spitzbart ist, oder auch Gedichts, zu bewegen, das nicht mit so vielen, in jedem Worte ausströmenden Vergnügen, wie ein Homer, Virgil, Horaz, Haller, Gellert, und einige wenige mehr, angefüllet ist und aufheitert.

Ein witziges und vergnügendes Epigramm, eine drollichte Romanze, ist ein wahrer stärkender Leckerbissen für mich, aber keine Jdylle, keine Elegie etc. etc. Kleist war, und ist gewissermaßen noch der Dichter meiner Seele; aber -- er ist feine Nahrung sanfter hypochondrischer Laune, und in sofern nicht der beste Gesellschafter.

So aufmerksam, zum Exempel, muß der unglückliche Hypochondrist, der aus dem Schifbruch entronnen ist, über alles wachen, womit er sich nähret und beschäftiget. Ueber viele andere, hieher gehörige Dinge, kann ich mich nicht erklären, ohne den Vorhang zu weit zurückzuschlagen, hinter welchem ich meine Schwachheiten bekenne.

Jm ganzen weiß ich meine Gemüthsfassung und Neigungen, in Beschäftigung, Vergnügen und Ge-


nicht ad bene beateque vivendum noͤthig sind. Den schoͤnen Wissenschaften, die die Einbildungskraft auf die Folter englischen Spleens spannen, oder ein paar koͤrnichte Jdeen in einem Meere von faden und suͤssem Gewaͤsch ersaͤufen, bin ich nicht gut. Man kann mir viel Geld bieten, um mich zum Lesen eines Trauerspiels, oder Romans, wenns nicht etwa ein Spitzbart ist, oder auch Gedichts, zu bewegen, das nicht mit so vielen, in jedem Worte ausstroͤmenden Vergnuͤgen, wie ein Homer, Virgil, Horaz, Haller, Gellert, und einige wenige mehr, angefuͤllet ist und aufheitert.

Ein witziges und vergnuͤgendes Epigramm, eine drollichte Romanze, ist ein wahrer staͤrkender Leckerbissen fuͤr mich, aber keine Jdylle, keine Elegie etc. etc. Kleist war, und ist gewissermaßen noch der Dichter meiner Seele; aber ― er ist feine Nahrung sanfter hypochondrischer Laune, und in sofern nicht der beste Gesellschafter.

So aufmerksam, zum Exempel, muß der ungluͤckliche Hypochondrist, der aus dem Schifbruch entronnen ist, uͤber alles wachen, womit er sich naͤhret und beschaͤftiget. Ueber viele andere, hieher gehoͤrige Dinge, kann ich mich nicht erklaͤren, ohne den Vorhang zu weit zuruͤckzuschlagen, hinter welchem ich meine Schwachheiten bekenne.

Jm ganzen weiß ich meine Gemuͤthsfassung und Neigungen, in Beschaͤftigung, Vergnuͤgen und Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0107" n="103"/><lb/>
nicht <hi rendition="#aq">ad bene beateque vivendum</hi> no&#x0364;thig sind. Den scho&#x0364;nen                         Wissenschaften, die die Einbildungskraft auf die Folter englischen Spleens                         spannen, oder ein paar ko&#x0364;rnichte Jdeen in einem Meere von faden und su&#x0364;ssem                         Gewa&#x0364;sch ersa&#x0364;ufen, bin ich nicht gut. Man kann mir viel Geld bieten, um mich                         zum Lesen eines Trauerspiels, oder Romans, wenns nicht etwa ein Spitzbart                         ist, oder auch Gedichts, zu bewegen, das nicht mit so vielen, in jedem Worte                         ausstro&#x0364;menden Vergnu&#x0364;gen, wie ein Homer, Virgil, Horaz, Haller, Gellert, und                         einige wenige mehr, angefu&#x0364;llet ist und aufheitert. </p>
          <p>Ein witziges und vergnu&#x0364;gendes Epigramm, eine drollichte                         Romanze, ist ein wahrer sta&#x0364;rkender Leckerbissen fu&#x0364;r mich, aber keine Jdylle,                         keine Elegie etc. etc. Kleist war, und ist gewissermaßen noch der Dichter                         meiner Seele; aber &#x2015; er ist <hi rendition="#b">feine Nahrung sanfter                             hypochondrischer Laune,</hi> und in sofern nicht der beste                         Gesellschafter. </p>
          <p>So aufmerksam, zum Exempel, muß der unglu&#x0364;ckliche Hypochondrist,                         der aus dem Schifbruch entronnen ist, u&#x0364;ber alles wachen, womit er sich                         na&#x0364;hret und bescha&#x0364;ftiget. Ueber viele andere, hieher geho&#x0364;rige Dinge, kann ich                         mich nicht erkla&#x0364;ren, ohne den Vorhang zu weit zuru&#x0364;ckzuschlagen, hinter                         welchem ich meine Schwachheiten bekenne. </p>
          <p>Jm ganzen weiß ich meine Gemu&#x0364;thsfassung und Neigungen, in                         Bescha&#x0364;ftigung, Vergnu&#x0364;gen und Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0107] nicht ad bene beateque vivendum noͤthig sind. Den schoͤnen Wissenschaften, die die Einbildungskraft auf die Folter englischen Spleens spannen, oder ein paar koͤrnichte Jdeen in einem Meere von faden und suͤssem Gewaͤsch ersaͤufen, bin ich nicht gut. Man kann mir viel Geld bieten, um mich zum Lesen eines Trauerspiels, oder Romans, wenns nicht etwa ein Spitzbart ist, oder auch Gedichts, zu bewegen, das nicht mit so vielen, in jedem Worte ausstroͤmenden Vergnuͤgen, wie ein Homer, Virgil, Horaz, Haller, Gellert, und einige wenige mehr, angefuͤllet ist und aufheitert. Ein witziges und vergnuͤgendes Epigramm, eine drollichte Romanze, ist ein wahrer staͤrkender Leckerbissen fuͤr mich, aber keine Jdylle, keine Elegie etc. etc. Kleist war, und ist gewissermaßen noch der Dichter meiner Seele; aber ― er ist feine Nahrung sanfter hypochondrischer Laune, und in sofern nicht der beste Gesellschafter. So aufmerksam, zum Exempel, muß der ungluͤckliche Hypochondrist, der aus dem Schifbruch entronnen ist, uͤber alles wachen, womit er sich naͤhret und beschaͤftiget. Ueber viele andere, hieher gehoͤrige Dinge, kann ich mich nicht erklaͤren, ohne den Vorhang zu weit zuruͤckzuschlagen, hinter welchem ich meine Schwachheiten bekenne. Jm ganzen weiß ich meine Gemuͤthsfassung und Neigungen, in Beschaͤftigung, Vergnuͤgen und Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/107
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/107>, abgerufen am 18.05.2024.