Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


gewöhnt hatte, als daß bloße Vorstellungen hinreichend gewesen wären, ihn davon zu heilen. Jch konnte ihn über diese erlittene Strafe lange nicht beruhigen, denn er meinte immer, es sey zwar gut, daß man ihm das Böse abgewöhnen wolle, allein Schläge thäten doch weh, und wenn man einem gut wäre, müsse man ihn nicht schlagen.

Er denkt gern und lange über einen Gegenstand nach, und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf einen, ihm wichtig gewordenen, Gegenstand. Jch habe oft mit Vergnügen bemerkt, daß er auch sogar auf das genau Acht hat, was man für ihn noch für zu schwer hält, und was nur seinen erwachsenen Geschwistern gesagt wird; er denkt dabei zuweilen schärfer nach als jene, und ist daher manchmal im Stande, ihre unrichtigen Antworten zu verbessern. Hört und versteht er eine gute Antwort, oder einen richtigen Schluß, so pflegt er oft, für sich, auszurufen: "das ist natürlich!" Dabei hat er ein sehr treues Gedächtniß, denn er erinnert sich bei der geringsten Veranlassung an eine ganze Reihe gehabter Vorstellungen, aus deren genauen und natürlichen Verkettung man schließen kann, wie gut er etwas gefaßt oder überdacht hat.

Jm Fragen ist er unermüdet, und man hat oft Stundenlang zu thun, wenn man seine Wißbegierde über eine Sache befriedigen will. Oft blieb er nach geendigten Schulstunden bei mir sitzen, oder kam aus eigenem Triebe wieder, sich mit mir über


gewoͤhnt hatte, als daß bloße Vorstellungen hinreichend gewesen waͤren, ihn davon zu heilen. Jch konnte ihn uͤber diese erlittene Strafe lange nicht beruhigen, denn er meinte immer, es sey zwar gut, daß man ihm das Boͤse abgewoͤhnen wolle, allein Schlaͤge thaͤten doch weh, und wenn man einem gut waͤre, muͤsse man ihn nicht schlagen.

Er denkt gern und lange uͤber einen Gegenstand nach, und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf einen, ihm wichtig gewordenen, Gegenstand. Jch habe oft mit Vergnuͤgen bemerkt, daß er auch sogar auf das genau Acht hat, was man fuͤr ihn noch fuͤr zu schwer haͤlt, und was nur seinen erwachsenen Geschwistern gesagt wird; er denkt dabei zuweilen schaͤrfer nach als jene, und ist daher manchmal im Stande, ihre unrichtigen Antworten zu verbessern. Hoͤrt und versteht er eine gute Antwort, oder einen richtigen Schluß, so pflegt er oft, fuͤr sich, auszurufen: »das ist natuͤrlich!« Dabei hat er ein sehr treues Gedaͤchtniß, denn er erinnert sich bei der geringsten Veranlassung an eine ganze Reihe gehabter Vorstellungen, aus deren genauen und natuͤrlichen Verkettung man schließen kann, wie gut er etwas gefaßt oder uͤberdacht hat.

Jm Fragen ist er unermuͤdet, und man hat oft Stundenlang zu thun, wenn man seine Wißbegierde uͤber eine Sache befriedigen will. Oft blieb er nach geendigten Schulstunden bei mir sitzen, oder kam aus eigenem Triebe wieder, sich mit mir uͤber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0118" n="114"/><lb/>
gewo&#x0364;hnt hatte, als daß bloße Vorstellungen                         hinreichend gewesen wa&#x0364;ren, ihn davon zu heilen. Jch konnte ihn u&#x0364;ber diese                         erlittene Strafe lange nicht beruhigen, denn er meinte immer, es sey zwar                         gut, daß man ihm das Bo&#x0364;se abgewo&#x0364;hnen wolle, allein Schla&#x0364;ge tha&#x0364;ten doch weh,                         und wenn man einem gut wa&#x0364;re, mu&#x0364;sse man ihn nicht schlagen. </p>
          <p>Er denkt gern und lange u&#x0364;ber einen Gegenstand nach, und richtet                         seine ganze Aufmerksamkeit auf einen, ihm wichtig gewordenen, Gegenstand.                         Jch habe oft mit Vergnu&#x0364;gen bemerkt, daß er auch sogar auf das genau Acht                         hat, was man fu&#x0364;r ihn noch fu&#x0364;r zu schwer ha&#x0364;lt, und was nur seinen erwachsenen                         Geschwistern gesagt wird; er denkt dabei zuweilen scha&#x0364;rfer nach als jene,                         und ist daher manchmal im Stande, ihre unrichtigen Antworten zu verbessern.                         Ho&#x0364;rt und versteht er eine gute Antwort, oder einen richtigen Schluß, so                         pflegt er oft, fu&#x0364;r sich, auszurufen: »das ist natu&#x0364;rlich!« Dabei hat er ein                         sehr treues Geda&#x0364;chtniß, denn er erinnert sich bei der geringsten                         Veranlassung an eine ganze Reihe gehabter Vorstellungen, aus deren genauen                         und natu&#x0364;rlichen Verkettung man schließen kann, wie gut er etwas gefaßt oder                         u&#x0364;berdacht hat. </p>
          <p>Jm Fragen ist er unermu&#x0364;det, und man hat oft Stundenlang zu                         thun, wenn man seine Wißbegierde u&#x0364;ber eine Sache befriedigen will. Oft blieb                         er nach geendigten Schulstunden bei mir sitzen, oder kam aus eigenem Triebe                         wieder, sich mit mir u&#x0364;ber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0118] gewoͤhnt hatte, als daß bloße Vorstellungen hinreichend gewesen waͤren, ihn davon zu heilen. Jch konnte ihn uͤber diese erlittene Strafe lange nicht beruhigen, denn er meinte immer, es sey zwar gut, daß man ihm das Boͤse abgewoͤhnen wolle, allein Schlaͤge thaͤten doch weh, und wenn man einem gut waͤre, muͤsse man ihn nicht schlagen. Er denkt gern und lange uͤber einen Gegenstand nach, und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf einen, ihm wichtig gewordenen, Gegenstand. Jch habe oft mit Vergnuͤgen bemerkt, daß er auch sogar auf das genau Acht hat, was man fuͤr ihn noch fuͤr zu schwer haͤlt, und was nur seinen erwachsenen Geschwistern gesagt wird; er denkt dabei zuweilen schaͤrfer nach als jene, und ist daher manchmal im Stande, ihre unrichtigen Antworten zu verbessern. Hoͤrt und versteht er eine gute Antwort, oder einen richtigen Schluß, so pflegt er oft, fuͤr sich, auszurufen: »das ist natuͤrlich!« Dabei hat er ein sehr treues Gedaͤchtniß, denn er erinnert sich bei der geringsten Veranlassung an eine ganze Reihe gehabter Vorstellungen, aus deren genauen und natuͤrlichen Verkettung man schließen kann, wie gut er etwas gefaßt oder uͤberdacht hat. Jm Fragen ist er unermuͤdet, und man hat oft Stundenlang zu thun, wenn man seine Wißbegierde uͤber eine Sache befriedigen will. Oft blieb er nach geendigten Schulstunden bei mir sitzen, oder kam aus eigenem Triebe wieder, sich mit mir uͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/118
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/118>, abgerufen am 23.11.2024.