Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.Jhr, die ihr nach den Buchstaben der Schrift lebet, ruft sie nicht auch euch zu: ärgert dich dein Auge, so reiß es aus, deine Hand, dein Fuß, so haue ihn ab. Wenns nun der Kopf ist, der mich ärgert, warum soll ich mich seiner auch nicht entledigen? Mein Leben war ein Geschenk Gottes -- er lieh es mir, um zu meinem und meiner Nebenmenschen Vortheile damit zu wuchern -- Diese Aussichten sind nun nach vielfältigen Versuchen für mich verloren -- ich bringe es also dem zurück, der mir es gab, unfähig, den Gebrauch, wozu er mir es lieh, davon zu machen. Jch rufe dich, mein Gott! noch hier zum Zeugen, daß ich nicht Gutes that, weil ich Belohnung hofte, nichts Böses ließ, weil ich vor ewigem Feuer mich fürchtete -- Nein, weil ich glaubte, daß dieß meinem Gotte, den ich unverfälscht als meinen Herrn, als ein unendliches Wesen ehrte, gefällig seyn würde -- wie sollte ich wider ihn murren, daß er mich mit Sinnlosigkeit strafte -- Viel Tausende leben glücklich, und ihr Schicksal entscheidet für seine unendliche Güte. Nicht meinem Eide kann ich gerecht werden -- denn der Kopf schwärmt, stockt, wenn er seinen Pflichten nachgehen soll -- Partheyn, deren Zutrauen, deren Gerechtsame mir heilig seyn sollen, leiden, und ich schände durch eine unwillkührliche Unthätigkeit ein ansehnliches Collegium, dessen Mit- Jhr, die ihr nach den Buchstaben der Schrift lebet, ruft sie nicht auch euch zu: aͤrgert dich dein Auge, so reiß es aus, deine Hand, dein Fuß, so haue ihn ab. Wenns nun der Kopf ist, der mich aͤrgert, warum soll ich mich seiner auch nicht entledigen? Mein Leben war ein Geschenk Gottes ― er lieh es mir, um zu meinem und meiner Nebenmenschen Vortheile damit zu wuchern ― Diese Aussichten sind nun nach vielfaͤltigen Versuchen fuͤr mich verloren ― ich bringe es also dem zuruͤck, der mir es gab, unfaͤhig, den Gebrauch, wozu er mir es lieh, davon zu machen. Jch rufe dich, mein Gott! noch hier zum Zeugen, daß ich nicht Gutes that, weil ich Belohnung hofte, nichts Boͤses ließ, weil ich vor ewigem Feuer mich fuͤrchtete ― Nein, weil ich glaubte, daß dieß meinem Gotte, den ich unverfaͤlscht als meinen Herrn, als ein unendliches Wesen ehrte, gefaͤllig seyn wuͤrde ― wie sollte ich wider ihn murren, daß er mich mit Sinnlosigkeit strafte ― Viel Tausende leben gluͤcklich, und ihr Schicksal entscheidet fuͤr seine unendliche Guͤte. Nicht meinem Eide kann ich gerecht werden ― denn der Kopf schwaͤrmt, stockt, wenn er seinen Pflichten nachgehen soll ― Partheyn, deren Zutrauen, deren Gerechtsame mir heilig seyn sollen, leiden, und ich schaͤnde durch eine unwillkuͤhrliche Unthaͤtigkeit ein ansehnliches Collegium, dessen Mit- <TEI> <text> <body> <div> <div> <div> <pb facs="#f0041" n="37"/><lb/> <p>Jhr, die ihr nach den Buchstaben der Schrift lebet, ruft sie nicht auch euch zu: aͤrgert dich dein Auge, so reiß es aus, deine Hand, dein Fuß, so haue ihn ab. Wenns nun der Kopf ist, der mich aͤrgert, warum soll ich mich seiner auch nicht entledigen? </p> <p>Mein Leben war ein Geschenk Gottes ― er lieh es mir, um zu meinem und meiner Nebenmenschen Vortheile damit zu wuchern ― Diese Aussichten sind nun nach vielfaͤltigen Versuchen fuͤr mich verloren ― ich bringe es also dem zuruͤck, der mir es gab, unfaͤhig, den Gebrauch, wozu er mir es lieh, davon zu machen. </p> <p>Jch rufe dich, mein Gott! noch hier zum Zeugen, daß ich nicht Gutes that, weil ich Belohnung hofte, nichts Boͤses ließ, weil ich vor ewigem Feuer mich fuͤrchtete ― Nein, weil ich glaubte, daß dieß meinem Gotte, den ich unverfaͤlscht als meinen Herrn, als ein unendliches Wesen ehrte, gefaͤllig seyn wuͤrde ― wie sollte ich wider ihn murren, daß er mich mit Sinnlosigkeit strafte ― Viel Tausende leben gluͤcklich, und ihr Schicksal entscheidet fuͤr seine unendliche Guͤte. </p> <p>Nicht meinem Eide kann ich gerecht werden ― denn der Kopf schwaͤrmt, stockt, wenn er seinen Pflichten nachgehen soll ― <choice><corr>Partheyn</corr><sic>Parthen</sic></choice>, deren Zutrauen, deren Gerechtsame mir heilig seyn sollen, leiden, und ich schaͤnde durch eine unwillkuͤhrliche Unthaͤtigkeit ein ansehnliches Collegium, dessen Mit-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0041]
Jhr, die ihr nach den Buchstaben der Schrift lebet, ruft sie nicht auch euch zu: aͤrgert dich dein Auge, so reiß es aus, deine Hand, dein Fuß, so haue ihn ab. Wenns nun der Kopf ist, der mich aͤrgert, warum soll ich mich seiner auch nicht entledigen?
Mein Leben war ein Geschenk Gottes ― er lieh es mir, um zu meinem und meiner Nebenmenschen Vortheile damit zu wuchern ― Diese Aussichten sind nun nach vielfaͤltigen Versuchen fuͤr mich verloren ― ich bringe es also dem zuruͤck, der mir es gab, unfaͤhig, den Gebrauch, wozu er mir es lieh, davon zu machen.
Jch rufe dich, mein Gott! noch hier zum Zeugen, daß ich nicht Gutes that, weil ich Belohnung hofte, nichts Boͤses ließ, weil ich vor ewigem Feuer mich fuͤrchtete ― Nein, weil ich glaubte, daß dieß meinem Gotte, den ich unverfaͤlscht als meinen Herrn, als ein unendliches Wesen ehrte, gefaͤllig seyn wuͤrde ― wie sollte ich wider ihn murren, daß er mich mit Sinnlosigkeit strafte ― Viel Tausende leben gluͤcklich, und ihr Schicksal entscheidet fuͤr seine unendliche Guͤte.
Nicht meinem Eide kann ich gerecht werden ― denn der Kopf schwaͤrmt, stockt, wenn er seinen Pflichten nachgehen soll ― Partheyn, deren Zutrauen, deren Gerechtsame mir heilig seyn sollen, leiden, und ich schaͤnde durch eine unwillkuͤhrliche Unthaͤtigkeit ein ansehnliches Collegium, dessen Mit-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/41>, abgerufen am 16.07.2024. |