Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


hier zur Erklärung des Stotterns in Absicht auf die Gliedmaßen der Sprache angenommen worden ist, und hieraus läßt sich das Schwanken und Taumeln der berauschten und fieberhaften Personen, so wie das Zittern der Alten und Schwächlichen begreiflich machen. Bei jenen folgen die Jdeen zu schnell auf einander, und die Gliedmaaßen der Bewegung können ihnen in eben der Geschwindigkeit nicht folgen. Es durchkreuzen sich auch bei ihnen verschiedene Jdeenreihen, und laufen dermaßen durcheinander, daß sie öfter in Collision kommen, und sich einander hemmen; daher wechselsweise das schnelle Zufahren in der Bewegung und das öftere Stocken, welches zusammengenommen das Taumeln genennt wird. Bey alten und schwächlichen Personen aber folgen zwar die Jdeen mehrentheils in ihrer natürlichen Geschwindigkeit aufeinander; allein die Gliedmaaßen der Bewegung sind bey jenen zu steif, bey diesen zu schwach, mit den würksamen Jdeen gleichen Schritt zu halten, und ihnen in eben der Zeit harmonisch zu folgen. Es mischen sich also fremde und itzt nicht zum Zweck dienliche Begriffe mit ein, und bringen die Reihe der organischen Stöße, die der Reihe der würksamen Jdeen entsprechen soll, in Unordnung und öftere Unterbrechung. Der Schwindel selbst scheint nichts anders zu seyn, als das Durchkreutzen und Jneinanderlaufen verschiedener Reihen von unwürksamen Begriffen, die sich mit einer solchen Lebhaftigkeit ineinander verlieren, daß


hier zur Erklaͤrung des Stotterns in Absicht auf die Gliedmaßen der Sprache angenommen worden ist, und hieraus laͤßt sich das Schwanken und Taumeln der berauschten und fieberhaften Personen, so wie das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen begreiflich machen. Bei jenen folgen die Jdeen zu schnell auf einander, und die Gliedmaaßen der Bewegung koͤnnen ihnen in eben der Geschwindigkeit nicht folgen. Es durchkreuzen sich auch bei ihnen verschiedene Jdeenreihen, und laufen dermaßen durcheinander, daß sie oͤfter in Collision kommen, und sich einander hemmen; daher wechselsweise das schnelle Zufahren in der Bewegung und das oͤftere Stocken, welches zusammengenommen das Taumeln genennt wird. Bey alten und schwaͤchlichen Personen aber folgen zwar die Jdeen mehrentheils in ihrer natuͤrlichen Geschwindigkeit aufeinander; allein die Gliedmaaßen der Bewegung sind bey jenen zu steif, bey diesen zu schwach, mit den wuͤrksamen Jdeen gleichen Schritt zu halten, und ihnen in eben der Zeit harmonisch zu folgen. Es mischen sich also fremde und itzt nicht zum Zweck dienliche Begriffe mit ein, und bringen die Reihe der organischen Stoͤße, die der Reihe der wuͤrksamen Jdeen entsprechen soll, in Unordnung und oͤftere Unterbrechung. Der Schwindel selbst scheint nichts anders zu seyn, als das Durchkreutzen und Jneinanderlaufen verschiedener Reihen von unwuͤrksamen Begriffen, die sich mit einer solchen Lebhaftigkeit ineinander verlieren, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0066" n="62"/><lb/>
hier zur Erkla&#x0364;rung des                         Stotterns in Absicht auf die Gliedmaßen der Sprache angenommen worden ist,                         und hieraus la&#x0364;ßt sich das Schwanken und Taumeln der berauschten und                         fieberhaften Personen, so wie das Zittern der Alten und Schwa&#x0364;chlichen                         begreiflich machen. Bei jenen folgen die Jdeen zu schnell auf einander, und                         die Gliedmaaßen der Bewegung ko&#x0364;nnen ihnen in eben der Geschwindigkeit nicht                         folgen. Es durchkreuzen sich auch bei ihnen verschiedene Jdeenreihen, und                         laufen dermaßen durcheinander, daß sie o&#x0364;fter in Collision kommen, und sich                         einander hemmen; daher wechselsweise das schnelle Zufahren in der Bewegung                         und das o&#x0364;ftere Stocken, welches zusammengenommen das <hi rendition="#b">Taumeln</hi> genennt wird. Bey alten und schwa&#x0364;chlichen Personen aber                         folgen zwar die Jdeen mehrentheils in ihrer natu&#x0364;rlichen Geschwindigkeit                         aufeinander; allein die Gliedmaaßen der Bewegung sind bey jenen zu steif,                         bey diesen zu schwach, mit den wu&#x0364;rksamen Jdeen gleichen Schritt zu halten,                         und ihnen in eben der Zeit harmonisch zu folgen. Es mischen sich also fremde                         und itzt nicht zum Zweck dienliche Begriffe mit ein, und bringen die Reihe                         der organischen Sto&#x0364;ße, die der Reihe der wu&#x0364;rksamen Jdeen entsprechen soll,                         in Unordnung und o&#x0364;ftere Unterbrechung. Der <hi rendition="#b">Schwindel</hi> selbst scheint nichts anders zu seyn, als das Durchkreutzen und                         Jneinanderlaufen verschiedener Reihen von unwu&#x0364;rksamen Begriffen, die sich                         mit einer solchen Lebhaftigkeit ineinander verlieren, daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0066] hier zur Erklaͤrung des Stotterns in Absicht auf die Gliedmaßen der Sprache angenommen worden ist, und hieraus laͤßt sich das Schwanken und Taumeln der berauschten und fieberhaften Personen, so wie das Zittern der Alten und Schwaͤchlichen begreiflich machen. Bei jenen folgen die Jdeen zu schnell auf einander, und die Gliedmaaßen der Bewegung koͤnnen ihnen in eben der Geschwindigkeit nicht folgen. Es durchkreuzen sich auch bei ihnen verschiedene Jdeenreihen, und laufen dermaßen durcheinander, daß sie oͤfter in Collision kommen, und sich einander hemmen; daher wechselsweise das schnelle Zufahren in der Bewegung und das oͤftere Stocken, welches zusammengenommen das Taumeln genennt wird. Bey alten und schwaͤchlichen Personen aber folgen zwar die Jdeen mehrentheils in ihrer natuͤrlichen Geschwindigkeit aufeinander; allein die Gliedmaaßen der Bewegung sind bey jenen zu steif, bey diesen zu schwach, mit den wuͤrksamen Jdeen gleichen Schritt zu halten, und ihnen in eben der Zeit harmonisch zu folgen. Es mischen sich also fremde und itzt nicht zum Zweck dienliche Begriffe mit ein, und bringen die Reihe der organischen Stoͤße, die der Reihe der wuͤrksamen Jdeen entsprechen soll, in Unordnung und oͤftere Unterbrechung. Der Schwindel selbst scheint nichts anders zu seyn, als das Durchkreutzen und Jneinanderlaufen verschiedener Reihen von unwuͤrksamen Begriffen, die sich mit einer solchen Lebhaftigkeit ineinander verlieren, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/66
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/66>, abgerufen am 21.11.2024.