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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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Räder und Federn eines Uhrwerks, dessen Kette
jetzt, alles äußersten Strebens, gleichsam sich der
Vernichtung zu entreißen, ohngeachtet, durch eine
stärkere Macht zerrissen wird, und nun auf ein-
mal ohnmächtig still steht.

Es kam dazu, daß ich alle Augenblicke diese
gewaltsame Katastrophe an mir selber zu leiden be-
fürchtete, und schon glaubt' ich den Anfang dersel-
ben in meinem Kopf zu empfinden. Jch hatte den
ganzen Abend keine Ruhe. Ach! und die Nacht,
deren Dunkel mir gar den Anblick aller andern Ge-
genstände, die mich noch etwa hätten zerstreuen
und von dem unseeligen Bilde meines Gehirns los-
reißen können, entzog, sie machte mich höchst elend.
Gegen Morgen war ich, vermuthlich vor Abmat-
tung, in einen festen Schlaf versunken.

Den andern Tag war mein Zustand beinahe
noch eben derselbe. So wie meine Augenlieder
sich öfneten, dachte meine Seele nur an das, was
ihr so fürchterlich war. Kurz, das dauerte so fast
ein ganzes Jahr, wiewol nicht mit der ersten Hef-
tigkeit, und so, daß ich durch bestimmte Arbeit
und andre Zerstreuung ganz ruhige Stunden erhielt.
Doch oft auch während der Arbeit, wenigstens auf
meiner einsamen Stube, ward ich plötzlich beun-
ruhigt, bisweilen in schwächerm, bisweilen in
stärkerm Grade.


Ich

Raͤder und Federn eines Uhrwerks, dessen Kette
jetzt, alles aͤußersten Strebens, gleichsam sich der
Vernichtung zu entreißen, ohngeachtet, durch eine
staͤrkere Macht zerrissen wird, und nun auf ein-
mal ohnmaͤchtig still steht.

Es kam dazu, daß ich alle Augenblicke diese
gewaltsame Katastrophe an mir selber zu leiden be-
fuͤrchtete, und schon glaubt' ich den Anfang dersel-
ben in meinem Kopf zu empfinden. Jch hatte den
ganzen Abend keine Ruhe. Ach! und die Nacht,
deren Dunkel mir gar den Anblick aller andern Ge-
genstaͤnde, die mich noch etwa haͤtten zerstreuen
und von dem unseeligen Bilde meines Gehirns los-
reißen koͤnnen, entzog, sie machte mich hoͤchst elend.
Gegen Morgen war ich, vermuthlich vor Abmat-
tung, in einen festen Schlaf versunken.

Den andern Tag war mein Zustand beinahe
noch eben derselbe. So wie meine Augenlieder
sich oͤfneten, dachte meine Seele nur an das, was
ihr so fuͤrchterlich war. Kurz, das dauerte so fast
ein ganzes Jahr, wiewol nicht mit der ersten Hef-
tigkeit, und so, daß ich durch bestimmte Arbeit
und andre Zerstreuung ganz ruhige Stunden erhielt.
Doch oft auch waͤhrend der Arbeit, wenigstens auf
meiner einsamen Stube, ward ich ploͤtzlich beun-
ruhigt, bisweilen in schwaͤcherm, bisweilen in
staͤrkerm Grade.


Ich
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[88/0092] Raͤder und Federn eines Uhrwerks, dessen Kette jetzt, alles aͤußersten Strebens, gleichsam sich der Vernichtung zu entreißen, ohngeachtet, durch eine staͤrkere Macht zerrissen wird, und nun auf ein- mal ohnmaͤchtig still steht. Es kam dazu, daß ich alle Augenblicke diese gewaltsame Katastrophe an mir selber zu leiden be- fuͤrchtete, und schon glaubt' ich den Anfang dersel- ben in meinem Kopf zu empfinden. Jch hatte den ganzen Abend keine Ruhe. Ach! und die Nacht, deren Dunkel mir gar den Anblick aller andern Ge- genstaͤnde, die mich noch etwa haͤtten zerstreuen und von dem unseeligen Bilde meines Gehirns los- reißen koͤnnen, entzog, sie machte mich hoͤchst elend. Gegen Morgen war ich, vermuthlich vor Abmat- tung, in einen festen Schlaf versunken. Den andern Tag war mein Zustand beinahe noch eben derselbe. So wie meine Augenlieder sich oͤfneten, dachte meine Seele nur an das, was ihr so fuͤrchterlich war. Kurz, das dauerte so fast ein ganzes Jahr, wiewol nicht mit der ersten Hef- tigkeit, und so, daß ich durch bestimmte Arbeit und andre Zerstreuung ganz ruhige Stunden erhielt. Doch oft auch waͤhrend der Arbeit, wenigstens auf meiner einsamen Stube, ward ich ploͤtzlich beun- ruhigt, bisweilen in schwaͤcherm, bisweilen in staͤrkerm Grade. Ich

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Thomas Gloning, Marc Kuse, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2013-06-06T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jurgita Baranauskaite, Justus-Liebig-Universität: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-06-06T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/92>, abgerufen am 24.11.2024.