Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


mir allemal erbaulich zu sehen war; so inbrünstig und ohne alle Menschenfurcht hielt er seine Andacht.

Allein wie nach dem Kyrie das Lied, Allein Gott in der Höh sey Ehr, angefangen werden sollte, merkte man schon eine Unordnung im Pedal, wo ein Ton unaufhörlich fortschallte, nach und nach fehlete es auch in der rechten Hand; und der Cantor hieß mich gleich fortspielen, und dem Organisten herunter helfen; es hatte ihn ein Schlagfluß getroffen.

Jch spielte also fort, bis die Kirche aus war; und der Cantor bestellte mich wieder bis auf weitere Einrichtung. Wie ich zu Hause komme, so erzählte ich die Sache, ganz modest, um nicht zu pralen.

Mein Vater sagte, dieß habe ich lange für mich ebenfalls gefürchtet, und die Ursach kann der wohl wissen. Er wies auf mich. Mein Bruder war eben zugegen, wie er uns gemeiniglich des Sonntags besuchte; der sagte: Deus habeat suas horas et moras; und die distinctiones gratiae --

Jndessen redete er auch mit mir, warum ich nicht in diese Versammlungsstunde gehen wollte. Die kindliche Hochachtung überwand mich also; daß ich sogleich beschloß, mit Krause und Lorentz*), die ohnehin in der Classe meine Nachbaren waren, nach und nach, anhänglicher umzugehen.


*) Zween junge Leute von der frommen Brüderschaft.


mir allemal erbaulich zu sehen war; so inbruͤnstig und ohne alle Menschenfurcht hielt er seine Andacht.

Allein wie nach dem Kyrie das Lied, Allein Gott in der Hoͤh sey Ehr, angefangen werden sollte, merkte man schon eine Unordnung im Pedal, wo ein Ton unaufhoͤrlich fortschallte, nach und nach fehlete es auch in der rechten Hand; und der Cantor hieß mich gleich fortspielen, und dem Organisten herunter helfen; es hatte ihn ein Schlagfluß getroffen.

Jch spielte also fort, bis die Kirche aus war; und der Cantor bestellte mich wieder bis auf weitere Einrichtung. Wie ich zu Hause komme, so erzaͤhlte ich die Sache, ganz modest, um nicht zu pralen.

Mein Vater sagte, dieß habe ich lange fuͤr mich ebenfalls gefuͤrchtet, und die Ursach kann der wohl wissen. Er wies auf mich. Mein Bruder war eben zugegen, wie er uns gemeiniglich des Sonntags besuchte; der sagte: Deus habeat suas horas et moras; und die distinctiones gratiae

Jndessen redete er auch mit mir, warum ich nicht in diese Versammlungsstunde gehen wollte. Die kindliche Hochachtung uͤberwand mich also; daß ich sogleich beschloß, mit Krause und Lorentz*), die ohnehin in der Classe meine Nachbaren waren, nach und nach, anhaͤnglicher umzugehen.


*) Zween junge Leute von der frommen Bruͤderschaft.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <floatingText>
              <body>
                <div>
                  <p><pb facs="#f0101" n="99"/><lb/>
mir allemal erbaulich zu sehen war; so  inbru&#x0364;nstig und ohne alle Menschenfurcht hielt er seine Andacht. </p>
                  <p>Allein wie nach dem Kyrie das Lied, <hi rendition="#b">Allein Gott in der Ho&#x0364;h  sey Ehr</hi>, angefangen werden sollte, merkte man schon eine  Unordnung im Pedal, wo ein Ton unaufho&#x0364;rlich fortschallte, nach und nach  fehlete es auch in der rechten Hand; und der Cantor hieß mich gleich  fortspielen, und dem Organisten herunter helfen; es hatte ihn ein Schlagfluß  getroffen. </p>
                  <p>Jch spielte also fort, bis die Kirche aus war; und der Cantor bestellte mich  wieder bis auf weitere Einrichtung. Wie ich zu Hause komme, so erza&#x0364;hlte ich  die Sache, ganz <hi rendition="#b">modest</hi>, um nicht zu pralen. </p>
                  <p>Mein Vater sagte, dieß habe ich lange fu&#x0364;r mich ebenfalls gefu&#x0364;rchtet, und die  Ursach kann <hi rendition="#b">der</hi> wohl wissen. Er wies auf mich. Mein  Bruder war eben zugegen, wie er uns gemeiniglich des Sonntags besuchte; der  sagte: <hi rendition="#aq">Deus habeat suas horas et moras</hi>; und die <hi rendition="#aq">distinctiones gratiae</hi> &#x2015; </p>
                  <p>Jndessen redete er auch mit mir, warum ich nicht in diese Versammlungsstunde  gehen wollte. Die kindliche Hochachtung u&#x0364;berwand mich also; daß ich sogleich  beschloß, mit <hi rendition="#b">Krause</hi> und <hi rendition="#b">Lorentz</hi>*)<note place="foot"><p>*) Zween junge Leute von der  frommen Bru&#x0364;derschaft.</p></note>, die ohnehin in der Classe meine  Nachbaren waren, nach und nach, anha&#x0364;nglicher umzugehen. </p><lb/>
                </div>
              </body>
            </floatingText>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0101] mir allemal erbaulich zu sehen war; so inbruͤnstig und ohne alle Menschenfurcht hielt er seine Andacht. Allein wie nach dem Kyrie das Lied, Allein Gott in der Hoͤh sey Ehr, angefangen werden sollte, merkte man schon eine Unordnung im Pedal, wo ein Ton unaufhoͤrlich fortschallte, nach und nach fehlete es auch in der rechten Hand; und der Cantor hieß mich gleich fortspielen, und dem Organisten herunter helfen; es hatte ihn ein Schlagfluß getroffen. Jch spielte also fort, bis die Kirche aus war; und der Cantor bestellte mich wieder bis auf weitere Einrichtung. Wie ich zu Hause komme, so erzaͤhlte ich die Sache, ganz modest, um nicht zu pralen. Mein Vater sagte, dieß habe ich lange fuͤr mich ebenfalls gefuͤrchtet, und die Ursach kann der wohl wissen. Er wies auf mich. Mein Bruder war eben zugegen, wie er uns gemeiniglich des Sonntags besuchte; der sagte: Deus habeat suas horas et moras; und die distinctiones gratiae ― Jndessen redete er auch mit mir, warum ich nicht in diese Versammlungsstunde gehen wollte. Die kindliche Hochachtung uͤberwand mich also; daß ich sogleich beschloß, mit Krause und Lorentz*) , die ohnehin in der Classe meine Nachbaren waren, nach und nach, anhaͤnglicher umzugehen. *) Zween junge Leute von der frommen Bruͤderschaft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/101
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/101>, abgerufen am 19.05.2024.