Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039" n="37"/><lb/> sein Blick war zur Erde geheftet, kaum daß er mit Muͤhe dann und wann schuͤchtern aufblicken konnte; seine Stellung, seine Bewegung waren seinen innerlichen Gefuͤhlen anpassend, voll Unruhe ― Jch fragte ihn: wie ist es moͤglich gewesen, daß Sie Kinder so behandeln konnten? ― und als er schwieg: hat denn der kleine M. Jhnen zu irgend einer solchen Behandlung Gelegenheit gegeben? ― »Nein, es war ein gutes Kind, zuweilen etwas munter, aber nicht wild, selten uͤber die Grenze der Munterkeit.« ― Wie haben Sie denn im Hause gelebt? zufrieden? »Ja, sehr zufrieden; o, ich habs so gut gehabt; ich war wie Kind im Hause, wie ein Freund, ich habe nicht die mindeste Klage. Ob man mich wohl wieder annaͤhme? wenn Sie schreiben wollten?« ― Das wuͤrde nichts helfen; das laͤßt sich nicht denken? ― Aber wenn Sie einmal so strenge gestraft hatten, fuͤhlten Sie nachher keine Art von Mitleid? Ruͤhrte Sie die harte Strafe nicht selbst? ― »Ja, es that mir leid!« Und wie konnten Sies so haͤufig wiederholen? »Das weiß ich selbst nicht. Jch habe mirs so oft vorgenommen, nicht zu schlagen, nicht zu hartherzig zu sein, aber es half nichts. Jch habe zu Gott gebetet, meinen Sinn zu aͤndern; aber ich weiß nicht, was aus mir werden wird« ― ― Jch gestehe, daß mir bey dieser Stelle ein Schaudern ankam, und wußte ihm nichts darauf zu antworten. Er wollte zu seiner Mutter reisen, das war der einzige Entschluß, den<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0039]
sein Blick war zur Erde geheftet, kaum daß er mit Muͤhe dann und wann schuͤchtern aufblicken konnte; seine Stellung, seine Bewegung waren seinen innerlichen Gefuͤhlen anpassend, voll Unruhe ― Jch fragte ihn: wie ist es moͤglich gewesen, daß Sie Kinder so behandeln konnten? ― und als er schwieg: hat denn der kleine M. Jhnen zu irgend einer solchen Behandlung Gelegenheit gegeben? ― »Nein, es war ein gutes Kind, zuweilen etwas munter, aber nicht wild, selten uͤber die Grenze der Munterkeit.« ― Wie haben Sie denn im Hause gelebt? zufrieden? »Ja, sehr zufrieden; o, ich habs so gut gehabt; ich war wie Kind im Hause, wie ein Freund, ich habe nicht die mindeste Klage. Ob man mich wohl wieder annaͤhme? wenn Sie schreiben wollten?« ― Das wuͤrde nichts helfen; das laͤßt sich nicht denken? ― Aber wenn Sie einmal so strenge gestraft hatten, fuͤhlten Sie nachher keine Art von Mitleid? Ruͤhrte Sie die harte Strafe nicht selbst? ― »Ja, es that mir leid!« Und wie konnten Sies so haͤufig wiederholen? »Das weiß ich selbst nicht. Jch habe mirs so oft vorgenommen, nicht zu schlagen, nicht zu hartherzig zu sein, aber es half nichts. Jch habe zu Gott gebetet, meinen Sinn zu aͤndern; aber ich weiß nicht, was aus mir werden wird« ― ― Jch gestehe, daß mir bey dieser Stelle ein Schaudern ankam, und wußte ihm nichts darauf zu antworten. Er wollte zu seiner Mutter reisen, das war der einzige Entschluß, den
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