Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Unglücklichen eigenen Worten beschreiben: "Kein Haus! keine Hülfe bey Freunden! keinen Trost! keinen Credit, da mir sonst jedermann ein Paar Hundert Thaler zu borgen bereit war!" Und hierzu kamen nun der Drang von Gläubigern und zu fürchtender Rechtshülfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, darzu kein Mittel zu wissen, und wer weiß, was noch mehr, das verborgener ist? An einem unglücklichen Sonntage durchbrach der Damm. Simmen besuchte früh an demselben den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt, die ihn zum Nachdenken hätte bringen können, aufmerksam zugehöret habe. Den Nachmittag ging er über Feld, einiger Geschäfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche. Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bey einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl selbst noch seinem Vorhaben zu entgehen; denn es zog ihn wohl das innere Gefühl noch immer zurück. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die böse Seite, und wandte nicht mehr Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beym Weggehen von seinem Besuch und bey seiner Wiederkunft zu Hause, daß ihm nicht recht wohl sei, Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Ungluͤcklichen eigenen Worten beschreiben: »Kein Haus! keine Huͤlfe bey Freunden! keinen Trost! keinen Credit, da mir sonst jedermann ein Paar Hundert Thaler zu borgen bereit war!« Und hierzu kamen nun der Drang von Glaͤubigern und zu fuͤrchtender Rechtshuͤlfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, darzu kein Mittel zu wissen, und wer weiß, was noch mehr, das verborgener ist? An einem ungluͤcklichen Sonntage durchbrach der Damm. Simmen besuchte fruͤh an demselben den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt, die ihn zum Nachdenken haͤtte bringen koͤnnen, aufmerksam zugehoͤret habe. Den Nachmittag ging er uͤber Feld, einiger Geschaͤfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche. Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bey einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl selbst noch seinem Vorhaben zu entgehen; denn es zog ihn wohl das innere Gefuͤhl noch immer zuruͤck. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die boͤse Seite, und wandte nicht mehr Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beym Weggehen von seinem Besuch und bey seiner Wiederkunft zu Hause, daß ihm nicht recht wohl sei, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" n="49"/><lb/> <p>Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Ungluͤcklichen eigenen Worten beschreiben: »Kein Haus! keine Huͤlfe bey Freunden! keinen Trost! keinen Credit, da mir sonst jedermann ein Paar Hundert Thaler zu borgen bereit war!« Und hierzu kamen nun der Drang von Glaͤubigern und zu fuͤrchtender Rechtshuͤlfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, darzu kein Mittel zu wissen, und wer weiß, was noch mehr, das verborgener ist? </p> <p>An einem ungluͤcklichen Sonntage durchbrach der Damm. Simmen besuchte fruͤh an demselben den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt, die ihn zum Nachdenken haͤtte bringen koͤnnen, aufmerksam zugehoͤret habe. Den Nachmittag ging er uͤber Feld, einiger Geschaͤfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche. </p> <p>Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bey einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl selbst noch seinem Vorhaben zu entgehen; denn es zog ihn wohl das innere Gefuͤhl noch immer zuruͤck. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die boͤse Seite, und wandte nicht mehr Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beym Weggehen von seinem Besuch und bey seiner Wiederkunft zu Hause, daß ihm nicht recht wohl sei,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0051]
Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Ungluͤcklichen eigenen Worten beschreiben: »Kein Haus! keine Huͤlfe bey Freunden! keinen Trost! keinen Credit, da mir sonst jedermann ein Paar Hundert Thaler zu borgen bereit war!« Und hierzu kamen nun der Drang von Glaͤubigern und zu fuͤrchtender Rechtshuͤlfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, darzu kein Mittel zu wissen, und wer weiß, was noch mehr, das verborgener ist?
An einem ungluͤcklichen Sonntage durchbrach der Damm. Simmen besuchte fruͤh an demselben den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt, die ihn zum Nachdenken haͤtte bringen koͤnnen, aufmerksam zugehoͤret habe. Den Nachmittag ging er uͤber Feld, einiger Geschaͤfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche.
Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bey einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl selbst noch seinem Vorhaben zu entgehen; denn es zog ihn wohl das innere Gefuͤhl noch immer zuruͤck. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die boͤse Seite, und wandte nicht mehr Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beym Weggehen von seinem Besuch und bey seiner Wiederkunft zu Hause, daß ihm nicht recht wohl sei,
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