Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


Dieß wiederholte er wohl hundertmal, lief dabei im Zimmer umher und als er von ungefähr ein Stück Kreide fand, schrieb ers mit großen Buchstaben an die Thür: "Meine Mutter soll mir nie einen Heller wieder geben."*) Endlich schrieb er einen Brief an seine Mutter, worinn er sich noch einmal kurz rechtfertigte, sich aber eben so sehr verschwur, nichts von ihr anzunehmen, und gewissermaßen ewig von ihr Abschied nahm. Zuletzt zog er sich an, gab den Brief auf die Post und suchte einsame Spatziergänge, um freie Luft zu schöpfen. Die Menge der Empfindungen, die mit einemmale ihn bis zur Betäubung erschüttert hatten, wurden nun einzeln wiederholt. Es ward ihm angst, wenn er an die Schulden dachte, die er hatte machen müssen, da er kein einziges Mittel vor sich sah, diese zu bezahlen oder auch seine künftigen Ausgaben zu bestreiten. Jn Haltung seiner Versprechen war er bisher immer so pünktlich und so zuverläßig gewesen, daß ihm der Gedanke, jemanden zu betrügen, gar nicht einmal einfiel. Seine Mutter wollte er schlechterdings nicht wieder um

*) Ein sonderbarer Zug, den ich aber mehrmal bei ihm bemerkt habe. Ausbrüche seines Zorns oder seiner Rache, wenn er sie oft stundenlang wiederholt hatte, fing er an, eben so oft untereinander zu schreiben, daher ich oft ganze Quartblätter voll kurz ausgedrückter Entschlüsse gefunden habe. J.


Dieß wiederholte er wohl hundertmal, lief dabei im Zimmer umher und als er von ungefaͤhr ein Stuͤck Kreide fand, schrieb ers mit großen Buchstaben an die Thuͤr: »Meine Mutter soll mir nie einen Heller wieder geben.«*) Endlich schrieb er einen Brief an seine Mutter, worinn er sich noch einmal kurz rechtfertigte, sich aber eben so sehr verschwur, nichts von ihr anzunehmen, und gewissermaßen ewig von ihr Abschied nahm. Zuletzt zog er sich an, gab den Brief auf die Post und suchte einsame Spatziergaͤnge, um freie Luft zu schoͤpfen. Die Menge der Empfindungen, die mit einemmale ihn bis zur Betaͤubung erschuͤttert hatten, wurden nun einzeln wiederholt. Es ward ihm angst, wenn er an die Schulden dachte, die er hatte machen muͤssen, da er kein einziges Mittel vor sich sah, diese zu bezahlen oder auch seine kuͤnftigen Ausgaben zu bestreiten. Jn Haltung seiner Versprechen war er bisher immer so puͤnktlich und so zuverlaͤßig gewesen, daß ihm der Gedanke, jemanden zu betruͤgen, gar nicht einmal einfiel. Seine Mutter wollte er schlechterdings nicht wieder um

*) Ein sonderbarer Zug, den ich aber mehrmal bei ihm bemerkt habe. Ausbruͤche seines Zorns oder seiner Rache, wenn er sie oft stundenlang wiederholt hatte, fing er an, eben so oft untereinander zu schreiben, daher ich oft ganze Quartblaͤtter voll kurz ausgedruͤckter Entschluͤsse gefunden habe. J.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0007" n="5"/><lb/>
Dieß wiederholte er wohl hundertmal,  lief dabei im Zimmer umher und als er von ungefa&#x0364;hr ein Stu&#x0364;ck Kreide fand,  schrieb ers mit großen Buchstaben an die Thu&#x0364;r: »Meine Mutter soll mir nie  einen Heller wieder geben.«*)<note place="foot"><p>*) Ein sonderbarer Zug,  den ich aber mehrmal bei ihm bemerkt habe. Ausbru&#x0364;che seines Zorns  oder seiner Rache, wenn er sie oft stundenlang wiederholt hatte,  fing er an, eben so oft untereinander zu schreiben, daher ich oft  ganze Quartbla&#x0364;tter voll kurz ausgedru&#x0364;ckter Entschlu&#x0364;sse gefunden  habe.</p><p rendition="#right"><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0147"><note type="editorial">Jakob, Ludwig Heinrich</note>J.</persName></hi></p></note> Endlich schrieb er einen Brief  an seine Mutter, worinn er sich noch einmal kurz rechtfertigte, sich aber  eben so sehr verschwur, nichts von ihr anzunehmen, und gewissermaßen ewig  von ihr Abschied nahm. Zuletzt zog er sich an, gab den Brief auf die Post  und suchte einsame Spatzierga&#x0364;nge, um freie Luft zu scho&#x0364;pfen. Die Menge der  Empfindungen, die mit einemmale ihn bis zur Beta&#x0364;ubung erschu&#x0364;ttert hatten,  wurden nun einzeln wiederholt. Es ward ihm angst, wenn er an die Schulden  dachte, die er hatte machen mu&#x0364;ssen, da er kein einziges Mittel vor sich sah,  diese zu bezahlen oder auch seine ku&#x0364;nftigen Ausgaben zu bestreiten. Jn  Haltung seiner Versprechen war er bisher immer so pu&#x0364;nktlich und so  zuverla&#x0364;ßig gewesen, daß ihm der Gedanke, jemanden zu betru&#x0364;gen, gar nicht  einmal einfiel. Seine Mutter wollte er schlechterdings nicht wieder um<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0007] Dieß wiederholte er wohl hundertmal, lief dabei im Zimmer umher und als er von ungefaͤhr ein Stuͤck Kreide fand, schrieb ers mit großen Buchstaben an die Thuͤr: »Meine Mutter soll mir nie einen Heller wieder geben.«*) Endlich schrieb er einen Brief an seine Mutter, worinn er sich noch einmal kurz rechtfertigte, sich aber eben so sehr verschwur, nichts von ihr anzunehmen, und gewissermaßen ewig von ihr Abschied nahm. Zuletzt zog er sich an, gab den Brief auf die Post und suchte einsame Spatziergaͤnge, um freie Luft zu schoͤpfen. Die Menge der Empfindungen, die mit einemmale ihn bis zur Betaͤubung erschuͤttert hatten, wurden nun einzeln wiederholt. Es ward ihm angst, wenn er an die Schulden dachte, die er hatte machen muͤssen, da er kein einziges Mittel vor sich sah, diese zu bezahlen oder auch seine kuͤnftigen Ausgaben zu bestreiten. Jn Haltung seiner Versprechen war er bisher immer so puͤnktlich und so zuverlaͤßig gewesen, daß ihm der Gedanke, jemanden zu betruͤgen, gar nicht einmal einfiel. Seine Mutter wollte er schlechterdings nicht wieder um *) Ein sonderbarer Zug, den ich aber mehrmal bei ihm bemerkt habe. Ausbruͤche seines Zorns oder seiner Rache, wenn er sie oft stundenlang wiederholt hatte, fing er an, eben so oft untereinander zu schreiben, daher ich oft ganze Quartblaͤtter voll kurz ausgedruͤckter Entschluͤsse gefunden habe. J.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/7
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/7>, abgerufen am 21.11.2024.