Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Auf diese Weise gelangen wir erst durch den Mittelbegriff von mein zu dem Begriffe von mich, welcher uns nun im Denken sehr zu statten kömmt, so daß wir über uns selbst Betrachtungen anstellen können, indem wir uns gleichsam von uns selber absondern. Wenn wir also z.B. sagen, ich kenne mich, du kennest dich, er kennet sich, ihr kennet euch, so ist das eben so viel, als wenn wir sagten: ich kenne mein ich, du kennest dein ich, er kennet sein ich, ihr kennet euer ich. Wir tragen den Begriff von ich selbst auf dasjenige, was außer uns ist, hinüber, wenn wir uns die völlige Persönlichkeit desselben denken wollen, indem wir z.B. sagen: ich sehe dich, welches so viel heißt, als: ich sehe ein Jch, oder ein Wesen, das Selbstbewußtseyn und Persönlichkeit hat, aber es ist nicht mein Jch, sondern das Jch dessen, den ich anrede. So wie wir nun Wörter haben, die Person auf das allerbestimmteste zu bezeichnen, so haben wir wieder andre, wodurch die Person, von der man redet, auf das allerschwankendste bezeichnet wird. So sagen wir, da ist jemand, ohne einen Unterschied zwischen Mann und Weib zu machen: ferner, man glaubt ohne auf die Anzahl oder das Geschlecht der Person zu sehn, die da glauben; und
Auf diese Weise gelangen wir erst durch den Mittelbegriff von mein zu dem Begriffe von mich, welcher uns nun im Denken sehr zu statten koͤmmt, so daß wir uͤber uns selbst Betrachtungen anstellen koͤnnen, indem wir uns gleichsam von uns selber absondern. Wenn wir also z.B. sagen, ich kenne mich, du kennest dich, er kennet sich, ihr kennet euch, so ist das eben so viel, als wenn wir sagten: ich kenne mein ich, du kennest dein ich, er kennet sein ich, ihr kennet euer ich. Wir tragen den Begriff von ich selbst auf dasjenige, was außer uns ist, hinuͤber, wenn wir uns die voͤllige Persoͤnlichkeit desselben denken wollen, indem wir z.B. sagen: ich sehe dich, welches so viel heißt, als: ich sehe ein Jch, oder ein Wesen, das Selbstbewußtseyn und Persoͤnlichkeit hat, aber es ist nicht mein Jch, sondern das Jch dessen, den ich anrede. So wie wir nun Woͤrter haben, die Person auf das allerbestimmteste zu bezeichnen, so haben wir wieder andre, wodurch die Person, von der man redet, auf das allerschwankendste bezeichnet wird. So sagen wir, da ist jemand, ohne einen Unterschied zwischen Mann und Weib zu machen: ferner, man glaubt ohne auf die Anzahl oder das Geschlecht der Person zu sehn, die da glauben; und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0122" n="122"/><lb/> meiner eignen Vorstellung <hi rendition="#b">herausdenke; mein ich</hi> aber wird in <hi rendition="#b">mich</hi> zusammengezogen.</p> <p>Auf diese Weise gelangen wir erst durch den Mittelbegriff von <hi rendition="#b">mein</hi> zu dem Begriffe von <hi rendition="#b">mich,</hi> welcher uns nun im Denken sehr zu statten koͤmmt, so daß wir uͤber uns selbst Betrachtungen anstellen koͤnnen, indem wir uns gleichsam von uns selber absondern. Wenn wir also z.B. sagen, <hi rendition="#b">ich kenne mich, du kennest dich, er kennet sich, ihr kennet euch,</hi> so ist das eben so viel, als wenn wir sagten: <hi rendition="#b">ich kenne mein ich, du kennest dein ich, er kennet sein ich, ihr kennet euer ich.</hi></p> <p>Wir tragen den Begriff von <hi rendition="#b">ich</hi> selbst auf dasjenige, was außer uns ist, hinuͤber, wenn wir uns die voͤllige Persoͤnlichkeit desselben denken wollen, indem wir z.B. sagen: <hi rendition="#b">ich sehe dich,</hi> welches so viel heißt, als: <hi rendition="#b">ich sehe ein Jch, oder ein Wesen, das Selbstbewußtseyn und Persoͤnlichkeit hat, aber es ist nicht mein Jch, sondern das Jch dessen, den ich anrede.</hi></p> <p>So wie wir nun Woͤrter haben, die Person auf das allerbestimmteste zu bezeichnen, so haben wir wieder andre, wodurch die Person, von der man redet, auf das allerschwankendste bezeichnet wird.</p> <p>So sagen wir, <hi rendition="#b">da ist jemand,</hi> ohne einen Unterschied zwischen Mann und Weib zu machen: ferner, <hi rendition="#b">man glaubt</hi> ohne auf die Anzahl oder das Geschlecht der Person zu sehn, die da glauben; und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0122]
meiner eignen Vorstellung herausdenke; mein ich aber wird in mich zusammengezogen.
Auf diese Weise gelangen wir erst durch den Mittelbegriff von mein zu dem Begriffe von mich, welcher uns nun im Denken sehr zu statten koͤmmt, so daß wir uͤber uns selbst Betrachtungen anstellen koͤnnen, indem wir uns gleichsam von uns selber absondern. Wenn wir also z.B. sagen, ich kenne mich, du kennest dich, er kennet sich, ihr kennet euch, so ist das eben so viel, als wenn wir sagten: ich kenne mein ich, du kennest dein ich, er kennet sein ich, ihr kennet euer ich.
Wir tragen den Begriff von ich selbst auf dasjenige, was außer uns ist, hinuͤber, wenn wir uns die voͤllige Persoͤnlichkeit desselben denken wollen, indem wir z.B. sagen: ich sehe dich, welches so viel heißt, als: ich sehe ein Jch, oder ein Wesen, das Selbstbewußtseyn und Persoͤnlichkeit hat, aber es ist nicht mein Jch, sondern das Jch dessen, den ich anrede.
So wie wir nun Woͤrter haben, die Person auf das allerbestimmteste zu bezeichnen, so haben wir wieder andre, wodurch die Person, von der man redet, auf das allerschwankendste bezeichnet wird.
So sagen wir, da ist jemand, ohne einen Unterschied zwischen Mann und Weib zu machen: ferner, man glaubt ohne auf die Anzahl oder das Geschlecht der Person zu sehn, die da glauben; und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/122>, abgerufen am 16.02.2025. |