Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Er schrieb selber zugleich mit seinem Vater an den Hutmacher L.., den er schon im Voraus innig liebte, und sich auf die herrlichen Tage freute, die er bei ihm zubringen würde. Und welche Reize hatte die Verändrung des Orts für ihn! Der Aufenthalt in Hannover, und der ewige einförmige Anblick eben derselben Strassen und Häuser ward ihm nun unerträglich: neue Thürme, Thore, Wälle, und Schlösser stiegen beständig in seiner Seele auf, und ein Bild verdrängte das andre. Er war nie ruhig, und zählte Stunden und Minuten bis zu seiner Abreise. Ein Ausschlag am Kopf verzögerte dieselbe zu seinem größten Mißvergnügen: allein dieser legte sich, auch war der Schaden am Fuß aus dem Grunde geheilt, und nun weiter kein Hinderniß mehr übrig. Es wurden alle Anstalten zur Abreise gemacht. Seine Mutter ermahnte ihn alle Tage mit Sprüchen aus der Bibel, und wie sich einer krümmen und bücken müsse, wenn er durch die Welt kommen wolle, und dergleichen mehr, das freilich nicht die mindeste Wirkung that, weil er dasselbe schon tausendmal bis zum Eckel von ihr gehört hatte. Seine Ausstattung von seinen Eltern war äußerst schlecht, und wären ihm nicht von guten Leuten noch einige Kleidungsstücke geschenkt worden, Er schrieb selber zugleich mit seinem Vater an den Hutmacher L.., den er schon im Voraus innig liebte, und sich auf die herrlichen Tage freute, die er bei ihm zubringen wuͤrde. Und welche Reize hatte die Veraͤndrung des Orts fuͤr ihn! Der Aufenthalt in Hannover, und der ewige einfoͤrmige Anblick eben derselben Strassen und Haͤuser ward ihm nun unertraͤglich: neue Thuͤrme, Thore, Waͤlle, und Schloͤsser stiegen bestaͤndig in seiner Seele auf, und ein Bild verdraͤngte das andre. Er war nie ruhig, und zaͤhlte Stunden und Minuten bis zu seiner Abreise. Ein Ausschlag am Kopf verzoͤgerte dieselbe zu seinem groͤßten Mißvergnuͤgen: allein dieser legte sich, auch war der Schaden am Fuß aus dem Grunde geheilt, und nun weiter kein Hinderniß mehr uͤbrig. Es wurden alle Anstalten zur Abreise gemacht. Seine Mutter ermahnte ihn alle Tage mit Spruͤchen aus der Bibel, und wie sich einer kruͤmmen und buͤcken muͤsse, wenn er durch die Welt kommen wolle, und dergleichen mehr, das freilich nicht die mindeste Wirkung that, weil er dasselbe schon tausendmal bis zum Eckel von ihr gehoͤrt hatte. Seine Ausstattung von seinen Eltern war aͤußerst schlecht, und waͤren ihm nicht von guten Leuten noch einige Kleidungsstuͤcke geschenkt worden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0031" n="31"/><lb/> <p>Er schrieb selber zugleich mit seinem Vater an den Hutmacher L.., den er schon im Voraus innig liebte, und sich auf die herrlichen Tage freute, die er bei ihm zubringen wuͤrde.</p> <p>Und welche Reize hatte die Veraͤndrung des Orts fuͤr ihn! Der Aufenthalt in Hannover, und der ewige einfoͤrmige Anblick eben derselben Strassen und Haͤuser ward ihm nun unertraͤglich: neue Thuͤrme, Thore, Waͤlle, und Schloͤsser stiegen bestaͤndig in seiner Seele auf, und ein Bild verdraͤngte das andre.</p> <p>Er war nie ruhig, und zaͤhlte Stunden und Minuten bis zu seiner Abreise.</p> <p>Ein Ausschlag am Kopf verzoͤgerte dieselbe zu seinem groͤßten Mißvergnuͤgen: allein dieser legte sich, auch war der Schaden am Fuß aus dem Grunde geheilt, und nun weiter kein Hinderniß mehr uͤbrig.</p> <p>Es wurden alle Anstalten zur Abreise gemacht. Seine Mutter ermahnte ihn alle Tage mit Spruͤchen aus der Bibel, und wie sich einer kruͤmmen und buͤcken muͤsse, wenn er durch die Welt kommen wolle, und dergleichen mehr, <choice><corr>das</corr><sic>daß</sic></choice> freilich nicht die mindeste Wirkung that, weil er dasselbe schon tausendmal bis zum Eckel von ihr gehoͤrt hatte.</p> <p>Seine Ausstattung von seinen Eltern war aͤußerst schlecht, und waͤren ihm nicht von guten Leuten noch einige Kleidungsstuͤcke geschenkt worden,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0031]
Er schrieb selber zugleich mit seinem Vater an den Hutmacher L.., den er schon im Voraus innig liebte, und sich auf die herrlichen Tage freute, die er bei ihm zubringen wuͤrde.
Und welche Reize hatte die Veraͤndrung des Orts fuͤr ihn! Der Aufenthalt in Hannover, und der ewige einfoͤrmige Anblick eben derselben Strassen und Haͤuser ward ihm nun unertraͤglich: neue Thuͤrme, Thore, Waͤlle, und Schloͤsser stiegen bestaͤndig in seiner Seele auf, und ein Bild verdraͤngte das andre.
Er war nie ruhig, und zaͤhlte Stunden und Minuten bis zu seiner Abreise.
Ein Ausschlag am Kopf verzoͤgerte dieselbe zu seinem groͤßten Mißvergnuͤgen: allein dieser legte sich, auch war der Schaden am Fuß aus dem Grunde geheilt, und nun weiter kein Hinderniß mehr uͤbrig.
Es wurden alle Anstalten zur Abreise gemacht. Seine Mutter ermahnte ihn alle Tage mit Spruͤchen aus der Bibel, und wie sich einer kruͤmmen und buͤcken muͤsse, wenn er durch die Welt kommen wolle, und dergleichen mehr, das freilich nicht die mindeste Wirkung that, weil er dasselbe schon tausendmal bis zum Eckel von ihr gehoͤrt hatte.
Seine Ausstattung von seinen Eltern war aͤußerst schlecht, und waͤren ihm nicht von guten Leuten noch einige Kleidungsstuͤcke geschenkt worden,
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| Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/31>, abgerufen am 21.11.2024. |
