Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


Rettung zu unternehmen. Da, wo Jhr Herz -- bei dem ersten Anblick -- wird richten wollen, wird Jhre Vernunft entschuldigen. Hochschätzen werden Sie mich vielleicht -- ohne eine höhere Hülfe -- nie können; aber, bemitleiden werden Sie mich. Und dieß ist es auch alles, worauf ich Tiefgesunkener werde Rechnung machen dürfen; mein Stolz empöre sich auch noch so sehr dagegen.

Jst es wahr, daß der Weg der Heiligung erst durch die oft traurigen Gefilde der Erfahrung geht? Jst es wahr, daß das Gefühl der Fehltritte und ihrer Folgen bei manchem Unglücklichen eher den Willen lenkt, als die kräftigste Ueberzeugung des Verstandes? Sucht die Vorsehung ihre in der Erziehung verwahrlosete Geschöpfe selbst zu erziehen, indem sie es zugiebt, daß sie sich auf mancherlei Weise erst verirren, und daß auch in diesen Verirrungen die große Absicht des Ewigen nicht fehlschlägt? (denn von einem so weisen Erzieher, der nie durch Kurzsichtigkeit und Uebereilung getäuscht werden kann, läßt sich alles hoffen) o so ist wohl noch Hofnung für mich übrig, und ich darf nur einmahl wieder Ruhe genießen; ich darf nur jetzt aus meiner traurigen Lage herausgerissen werden, um alle meine traurigen Erfahrungen alsdann auf mein Herz und Geist anwenden zu können. Jch getraue mir alles auf meine fehlerhafte Erziehung zurückbringen zu können, denn ich glaube, ich würde mir nie so manches haben zu Schulden kommen


Rettung zu unternehmen. Da, wo Jhr Herz ― bei dem ersten Anblick ― wird richten wollen, wird Jhre Vernunft entschuldigen. Hochschaͤtzen werden Sie mich vielleicht ― ohne eine hoͤhere Huͤlfe ― nie koͤnnen; aber, bemitleiden werden Sie mich. Und dieß ist es auch alles, worauf ich Tiefgesunkener werde Rechnung machen duͤrfen; mein Stolz empoͤre sich auch noch so sehr dagegen.

Jst es wahr, daß der Weg der Heiligung erst durch die oft traurigen Gefilde der Erfahrung geht? Jst es wahr, daß das Gefuͤhl der Fehltritte und ihrer Folgen bei manchem Ungluͤcklichen eher den Willen lenkt, als die kraͤftigste Ueberzeugung des Verstandes? Sucht die Vorsehung ihre in der Erziehung verwahrlosete Geschoͤpfe selbst zu erziehen, indem sie es zugiebt, daß sie sich auf mancherlei Weise erst verirren, und daß auch in diesen Verirrungen die große Absicht des Ewigen nicht fehlschlaͤgt? (denn von einem so weisen Erzieher, der nie durch Kurzsichtigkeit und Uebereilung getaͤuscht werden kann, laͤßt sich alles hoffen) o so ist wohl noch Hofnung fuͤr mich uͤbrig, und ich darf nur einmahl wieder Ruhe genießen; ich darf nur jetzt aus meiner traurigen Lage herausgerissen werden, um alle meine traurigen Erfahrungen alsdann auf mein Herz und Geist anwenden zu koͤnnen. Jch getraue mir alles auf meine fehlerhafte Erziehung zuruͤckbringen zu koͤnnen, denn ich glaube, ich wuͤrde mir nie so manches haben zu Schulden kommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0037" n="37"/><lb/>
Rettung zu unternehmen. Da, wo Jhr Herz &#x2015; bei dem                         ersten Anblick &#x2015; wird richten wollen, wird Jhre Vernunft entschuldigen.                         Hochscha&#x0364;tzen werden Sie mich vielleicht &#x2015; ohne eine ho&#x0364;here Hu&#x0364;lfe &#x2015; nie                         ko&#x0364;nnen; aber, bemitleiden werden Sie mich. Und dieß ist es auch alles,                         worauf ich Tiefgesunkener werde Rechnung machen du&#x0364;rfen; mein Stolz empo&#x0364;re                         sich auch noch so sehr dagegen. </p>
            <p>Jst es wahr, daß der Weg der Heiligung erst durch die oft traurigen Gefilde                         der Erfahrung geht? Jst es wahr, daß das Gefu&#x0364;hl der Fehltritte und ihrer                         Folgen bei manchem Unglu&#x0364;cklichen eher den Willen lenkt, als die kra&#x0364;ftigste                         Ueberzeugung des Verstandes? Sucht die Vorsehung ihre in der Erziehung                         verwahrlosete Gescho&#x0364;pfe <hi rendition="#b">selbst</hi> zu erziehen, indem                         sie es zugiebt, daß sie sich auf mancherlei Weise erst verirren, und daß                         auch in diesen Verirrungen die große Absicht des Ewigen nicht fehlschla&#x0364;gt?                         (denn von einem so weisen Erzieher, der nie durch Kurzsichtigkeit und                         Uebereilung geta&#x0364;uscht werden kann, la&#x0364;ßt sich alles hoffen) o so ist wohl                         noch Hofnung fu&#x0364;r mich u&#x0364;brig, und ich darf nur einmahl wieder Ruhe genießen;                         ich darf nur jetzt aus meiner traurigen Lage herausgerissen werden, um alle                         meine traurigen Erfahrungen alsdann auf mein Herz und Geist anwenden zu                         ko&#x0364;nnen. Jch getraue mir alles auf meine fehlerhafte Erziehung zuru&#x0364;ckbringen                         zu ko&#x0364;nnen, denn ich glaube, ich wu&#x0364;rde mir nie so manches haben zu Schulden                         kommen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0037] Rettung zu unternehmen. Da, wo Jhr Herz ― bei dem ersten Anblick ― wird richten wollen, wird Jhre Vernunft entschuldigen. Hochschaͤtzen werden Sie mich vielleicht ― ohne eine hoͤhere Huͤlfe ― nie koͤnnen; aber, bemitleiden werden Sie mich. Und dieß ist es auch alles, worauf ich Tiefgesunkener werde Rechnung machen duͤrfen; mein Stolz empoͤre sich auch noch so sehr dagegen. Jst es wahr, daß der Weg der Heiligung erst durch die oft traurigen Gefilde der Erfahrung geht? Jst es wahr, daß das Gefuͤhl der Fehltritte und ihrer Folgen bei manchem Ungluͤcklichen eher den Willen lenkt, als die kraͤftigste Ueberzeugung des Verstandes? Sucht die Vorsehung ihre in der Erziehung verwahrlosete Geschoͤpfe selbst zu erziehen, indem sie es zugiebt, daß sie sich auf mancherlei Weise erst verirren, und daß auch in diesen Verirrungen die große Absicht des Ewigen nicht fehlschlaͤgt? (denn von einem so weisen Erzieher, der nie durch Kurzsichtigkeit und Uebereilung getaͤuscht werden kann, laͤßt sich alles hoffen) o so ist wohl noch Hofnung fuͤr mich uͤbrig, und ich darf nur einmahl wieder Ruhe genießen; ich darf nur jetzt aus meiner traurigen Lage herausgerissen werden, um alle meine traurigen Erfahrungen alsdann auf mein Herz und Geist anwenden zu koͤnnen. Jch getraue mir alles auf meine fehlerhafte Erziehung zuruͤckbringen zu koͤnnen, denn ich glaube, ich wuͤrde mir nie so manches haben zu Schulden kommen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/37
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0203_1784/37>, abgerufen am 21.11.2024.