Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Ein halb Jahr vorher, ehe dieses sich ereignete, waren wir von dem jetzt verstorbenen Prediger S** zum Abendmahl zugelassen worden, nachdem er uns zwei Jahr dazu präparirt hatte. Jch war unter allen im Antworten der Fertigste; dieß mochte auch den guten Mann bewogen haben, mich im 13ten Jahre schon loszusprechen. Allein dieser Unterricht ist eine mit von den Ursachen meiner Gleichgültigkeit gegen gewisse Wahrheiten der Religion, die bloß das Gedächtniß, am wenigsten der Verstand gefaßt hatte. Jch war zu flüchtig, als daß seine Methode tiefen Eindruck auf mich hätte machen können; denn der gute Mann besaß die Kunst nicht: die Wahrheiten der Religion auf einer liebenswürdigen Seite meinem Herzen zu empfehlen. Jn der Schule hatte ich einen schlechten Grund gelegt; da hätte es nun hauptsächlich vom Prediger geschehen sollen. Und so wurde ich denn der weder kalt noch warme Christ, der bei reifern Jahren leichtsinnig genug war, sich über die göttlichen Gesetze hinwegzusetzen, zwar kein
Ein halb Jahr vorher, ehe dieses sich ereignete, waren wir von dem jetzt verstorbenen Prediger S** zum Abendmahl zugelassen worden, nachdem er uns zwei Jahr dazu praͤparirt hatte. Jch war unter allen im Antworten der Fertigste; dieß mochte auch den guten Mann bewogen haben, mich im 13ten Jahre schon loszusprechen. Allein dieser Unterricht ist eine mit von den Ursachen meiner Gleichguͤltigkeit gegen gewisse Wahrheiten der Religion, die bloß das Gedaͤchtniß, am wenigsten der Verstand gefaßt hatte. Jch war zu fluͤchtig, als daß seine Methode tiefen Eindruck auf mich haͤtte machen koͤnnen; denn der gute Mann besaß die Kunst nicht: die Wahrheiten der Religion auf einer liebenswuͤrdigen Seite meinem Herzen zu empfehlen. Jn der Schule hatte ich einen schlechten Grund gelegt; da haͤtte es nun hauptsaͤchlich vom Prediger geschehen sollen. Und so wurde ich denn der weder kalt noch warme Christ, der bei reifern Jahren leichtsinnig genug war, sich uͤber die goͤttlichen Gesetze hinwegzusetzen, zwar kein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0046" n="46"/><lb/> wir uns also die meiste Zeit selbst uͤberlassen. ― Denken Sie sich nun diese Freiheit, diesen Muͤßiggang, immer noch unter der Gesellschaft unsres boͤsgesinnten leichtsinnigen N***, und es waͤre ein Wunder, wenn es nicht fuͤr mein feuriges lebhaftes Temperament (fuͤr das Temperament meines Bruders hatte es nicht solche schaͤdliche Folgen, denn das war schon traͤger, gelassener) schlimme Wirkungen gehabt haͤtte. </p> <p>Ein halb Jahr vorher, ehe dieses sich ereignete, waren wir von dem jetzt verstorbenen Prediger S** zum Abendmahl zugelassen worden, nachdem er uns zwei Jahr dazu praͤparirt hatte. Jch war unter allen im Antworten der Fertigste; dieß mochte auch den guten Mann bewogen haben, mich im 13ten Jahre schon loszusprechen. Allein dieser Unterricht ist eine mit von den Ursachen meiner Gleichguͤltigkeit gegen gewisse Wahrheiten der Religion, die bloß das Gedaͤchtniß, am wenigsten der Verstand gefaßt hatte. Jch war zu fluͤchtig, als daß seine Methode tiefen Eindruck auf mich haͤtte machen koͤnnen; denn der gute Mann besaß die Kunst nicht: die Wahrheiten der Religion auf einer liebenswuͤrdigen Seite meinem Herzen zu empfehlen. Jn der Schule hatte ich einen schlechten Grund gelegt; da haͤtte es nun hauptsaͤchlich vom Prediger geschehen sollen. Und so wurde ich denn der weder kalt noch warme Christ, der bei reifern Jahren leichtsinnig genug war, sich uͤber die goͤttlichen Gesetze hinwegzusetzen, zwar kein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0046]
wir uns also die meiste Zeit selbst uͤberlassen. ― Denken Sie sich nun diese Freiheit, diesen Muͤßiggang, immer noch unter der Gesellschaft unsres boͤsgesinnten leichtsinnigen N***, und es waͤre ein Wunder, wenn es nicht fuͤr mein feuriges lebhaftes Temperament (fuͤr das Temperament meines Bruders hatte es nicht solche schaͤdliche Folgen, denn das war schon traͤger, gelassener) schlimme Wirkungen gehabt haͤtte.
Ein halb Jahr vorher, ehe dieses sich ereignete, waren wir von dem jetzt verstorbenen Prediger S** zum Abendmahl zugelassen worden, nachdem er uns zwei Jahr dazu praͤparirt hatte. Jch war unter allen im Antworten der Fertigste; dieß mochte auch den guten Mann bewogen haben, mich im 13ten Jahre schon loszusprechen. Allein dieser Unterricht ist eine mit von den Ursachen meiner Gleichguͤltigkeit gegen gewisse Wahrheiten der Religion, die bloß das Gedaͤchtniß, am wenigsten der Verstand gefaßt hatte. Jch war zu fluͤchtig, als daß seine Methode tiefen Eindruck auf mich haͤtte machen koͤnnen; denn der gute Mann besaß die Kunst nicht: die Wahrheiten der Religion auf einer liebenswuͤrdigen Seite meinem Herzen zu empfehlen. Jn der Schule hatte ich einen schlechten Grund gelegt; da haͤtte es nun hauptsaͤchlich vom Prediger geschehen sollen. Und so wurde ich denn der weder kalt noch warme Christ, der bei reifern Jahren leichtsinnig genug war, sich uͤber die goͤttlichen Gesetze hinwegzusetzen, zwar kein
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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