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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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serm Ohre auf die angenehmste Art mit, es dringt in die Seele, und erregt Leidenschaften, die nur sonst die edle Sprache der Zunge, und die Gründe einer nachdenkenden Vernunft erzeugen können; allein wir verstopfen die Ohren, wenn wir Dissonanzen hören müssen, oder wenn auch die Harmonie der Töne zu laut und schreiend wird. Jn allen diesen, und noch hundert andern Fällen, ist es sichtbar, daß die Verschiedenheit unsrer Empfindungen von den verschiedenen Graden der Nervenerschütterung abhängt, und daß, weil diese bald stärker bald schwächer werden kann, jene Empfindungen selbst unendlich leicht, als körperliche Bewegungen unsrer Maschine betrachtet, in einander übergehen, und sich in einander auflösen können. Aber noch mehr. -- Nicht nur der Wechsel solcher Empfindungen, die sich unmittelbar auf unsere Sinne, und die feinern Werkzeuge derselben, nemlich auf den Bau und die Bewegung unsrer Nerven beziehen, hängt von ihrer bald stärkern bald schwächern Erschütterung ab; -- sondern das ganze Geschäfte unsres Denkens, und die Empfindungen, welche sich zunächst allein auf den Einfluß eines einfachen Wesens auf unsre sinnliche Natur, oder sogenannter abstrakter Vorstellungen auf dieselbe zu gründen scheinen, werden nicht selten nach obigen großen mechanischen Empfindungsgesetze bestimmt, und wechseln so leicht mit einander ab, als die blos thierischen Gefühle von Schmerz und Lust es nur


serm Ohre auf die angenehmste Art mit, es dringt in die Seele, und erregt Leidenschaften, die nur sonst die edle Sprache der Zunge, und die Gruͤnde einer nachdenkenden Vernunft erzeugen koͤnnen; allein wir verstopfen die Ohren, wenn wir Dissonanzen hoͤren muͤssen, oder wenn auch die Harmonie der Toͤne zu laut und schreiend wird. Jn allen diesen, und noch hundert andern Faͤllen, ist es sichtbar, daß die Verschiedenheit unsrer Empfindungen von den verschiedenen Graden der Nervenerschuͤtterung abhaͤngt, und daß, weil diese bald staͤrker bald schwaͤcher werden kann, jene Empfindungen selbst unendlich leicht, als koͤrperliche Bewegungen unsrer Maschine betrachtet, in einander uͤbergehen, und sich in einander aufloͤsen koͤnnen. Aber noch mehr. — Nicht nur der Wechsel solcher Empfindungen, die sich unmittelbar auf unsere Sinne, und die feinern Werkzeuge derselben, nemlich auf den Bau und die Bewegung unsrer Nerven beziehen, haͤngt von ihrer bald staͤrkern bald schwaͤchern Erschuͤtterung ab; — sondern das ganze Geschaͤfte unsres Denkens, und die Empfindungen, welche sich zunaͤchst allein auf den Einfluß eines einfachen Wesens auf unsre sinnliche Natur, oder sogenannter abstrakter Vorstellungen auf dieselbe zu gruͤnden scheinen, werden nicht selten nach obigen großen mechanischen Empfindungsgesetze bestimmt, und wechseln so leicht mit einander ab, als die blos thierischen Gefuͤhle von Schmerz und Lust es nur

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[105/0107] serm Ohre auf die angenehmste Art mit, es dringt in die Seele, und erregt Leidenschaften, die nur sonst die edle Sprache der Zunge, und die Gruͤnde einer nachdenkenden Vernunft erzeugen koͤnnen; allein wir verstopfen die Ohren, wenn wir Dissonanzen hoͤren muͤssen, oder wenn auch die Harmonie der Toͤne zu laut und schreiend wird. Jn allen diesen, und noch hundert andern Faͤllen, ist es sichtbar, daß die Verschiedenheit unsrer Empfindungen von den verschiedenen Graden der Nervenerschuͤtterung abhaͤngt, und daß, weil diese bald staͤrker bald schwaͤcher werden kann, jene Empfindungen selbst unendlich leicht, als koͤrperliche Bewegungen unsrer Maschine betrachtet, in einander uͤbergehen, und sich in einander aufloͤsen koͤnnen. Aber noch mehr. — Nicht nur der Wechsel solcher Empfindungen, die sich unmittelbar auf unsere Sinne, und die feinern Werkzeuge derselben, nemlich auf den Bau und die Bewegung unsrer Nerven beziehen, haͤngt von ihrer bald staͤrkern bald schwaͤchern Erschuͤtterung ab; — sondern das ganze Geschaͤfte unsres Denkens, und die Empfindungen, welche sich zunaͤchst allein auf den Einfluß eines einfachen Wesens auf unsre sinnliche Natur, oder sogenannter abstrakter Vorstellungen auf dieselbe zu gruͤnden scheinen, werden nicht selten nach obigen großen mechanischen Empfindungsgesetze bestimmt, und wechseln so leicht mit einander ab, als die blos thierischen Gefuͤhle von Schmerz und Lust es nur

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/107>, abgerufen am 27.11.2024.