Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Jn dem Zustande reiste er zu mir, um sich einige Monathe bei mir aufzuhalten. -- Jch war erstaunt, als ich ihn sahe, über die Niedergeschlagenheit seines Gemüths, und die Unentschlossenheit seiner Seele. Manche Stunden war kaum ein Wort aus ihm zu bringen.

Wir bezogen zusammen einen Garten, aus welchem wir nicht weit aufs freie Feld hatten. Kein Morgen wurde versäumt, wo wir nicht spatzieren gingen, und kein Abend, wo er nicht die Komödie besuchte.

Er fand allmälig wieder Geschmack an den Schönheiten der Natur, und so wie wir aus der heitern freien Luft zurückkehrten, hatte sich auch seine Seele wieder etwas ermannet, und es war wieder einige Elasticität und Festigkeit in seinen Entschließungen, sie mochte nun die theatralische oder gelehrte Laufbahn zum Augenmerk haben. -- Da erwachten auch oft die Regungen der kindlichen Liebe in ihrer ganzen Stärke wieder, und er vergoß oft Thränen der Wehmuth über die Kränkung, welche er seinen Eltern verursachte.

Jch that dabei nichts weniger, als daß ich ihn von dem Entschluß, sich dem Theater zu widmen, oder von dem täglichen Besuch der Komödie hätte abrathen sollen.

Oft war er am Morgen, wenn wir aus der großen, und wahren Natur zurückkehrten, fest entschlossen, seine alte Phantasie ganz fahren zu


Jn dem Zustande reiste er zu mir, um sich einige Monathe bei mir aufzuhalten. — Jch war erstaunt, als ich ihn sahe, uͤber die Niedergeschlagenheit seines Gemuͤths, und die Unentschlossenheit seiner Seele. Manche Stunden war kaum ein Wort aus ihm zu bringen.

Wir bezogen zusammen einen Garten, aus welchem wir nicht weit aufs freie Feld hatten. Kein Morgen wurde versaͤumt, wo wir nicht spatzieren gingen, und kein Abend, wo er nicht die Komoͤdie besuchte.

Er fand allmaͤlig wieder Geschmack an den Schoͤnheiten der Natur, und so wie wir aus der heitern freien Luft zuruͤckkehrten, hatte sich auch seine Seele wieder etwas ermannet, und es war wieder einige Elasticitaͤt und Festigkeit in seinen Entschließungen, sie mochte nun die theatralische oder gelehrte Laufbahn zum Augenmerk haben. — Da erwachten auch oft die Regungen der kindlichen Liebe in ihrer ganzen Staͤrke wieder, und er vergoß oft Thraͤnen der Wehmuth uͤber die Kraͤnkung, welche er seinen Eltern verursachte.

Jch that dabei nichts weniger, als daß ich ihn von dem Entschluß, sich dem Theater zu widmen, oder von dem taͤglichen Besuch der Komoͤdie haͤtte abrathen sollen.

Oft war er am Morgen, wenn wir aus der großen, und wahren Natur zuruͤckkehrten, fest entschlossen, seine alte Phantasie ganz fahren zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0123" n="121"/><lb/>
            <p>Jn dem Zustande reiste er zu mir, um sich einige Monathe bei mir aufzuhalten. &#x2014;                   Jch war erstaunt, als ich ihn sahe, u&#x0364;ber die Niedergeschlagenheit seines Gemu&#x0364;ths,                   und die Unentschlossenheit seiner Seele. Manche Stunden war kaum ein Wort aus ihm                   zu bringen. </p>
            <p>Wir bezogen zusammen einen Garten, aus welchem wir nicht weit aufs freie Feld                   hatten. Kein Morgen wurde versa&#x0364;umt, wo wir nicht spatzieren gingen, und kein                   Abend, wo er nicht die Komo&#x0364;die besuchte. </p>
            <p>Er fand allma&#x0364;lig wieder Geschmack an den Scho&#x0364;nheiten der Natur, und so wie wir aus                   der heitern freien Luft zuru&#x0364;ckkehrten, hatte sich auch seine Seele wieder etwas                   ermannet, und es war wieder einige Elasticita&#x0364;t und Festigkeit in seinen                   Entschließungen, sie mochte nun die theatralische oder gelehrte Laufbahn zum                   Augenmerk haben. &#x2014; Da erwachten auch oft die Regungen der kindlichen Liebe in                   ihrer ganzen Sta&#x0364;rke wieder, und er vergoß oft Thra&#x0364;nen der Wehmuth u&#x0364;ber die                   Kra&#x0364;nkung, welche er seinen Eltern verursachte. </p>
            <p>Jch that dabei nichts weniger, als daß ich ihn von dem Entschluß, sich dem Theater                   zu widmen, oder von dem ta&#x0364;glichen Besuch der Komo&#x0364;die ha&#x0364;tte abrathen sollen. </p>
            <p>Oft war er am Morgen, wenn wir aus der großen, und wahren Natur zuru&#x0364;ckkehrten,                   fest entschlossen, seine alte Phantasie ganz fahren zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0123] Jn dem Zustande reiste er zu mir, um sich einige Monathe bei mir aufzuhalten. — Jch war erstaunt, als ich ihn sahe, uͤber die Niedergeschlagenheit seines Gemuͤths, und die Unentschlossenheit seiner Seele. Manche Stunden war kaum ein Wort aus ihm zu bringen. Wir bezogen zusammen einen Garten, aus welchem wir nicht weit aufs freie Feld hatten. Kein Morgen wurde versaͤumt, wo wir nicht spatzieren gingen, und kein Abend, wo er nicht die Komoͤdie besuchte. Er fand allmaͤlig wieder Geschmack an den Schoͤnheiten der Natur, und so wie wir aus der heitern freien Luft zuruͤckkehrten, hatte sich auch seine Seele wieder etwas ermannet, und es war wieder einige Elasticitaͤt und Festigkeit in seinen Entschließungen, sie mochte nun die theatralische oder gelehrte Laufbahn zum Augenmerk haben. — Da erwachten auch oft die Regungen der kindlichen Liebe in ihrer ganzen Staͤrke wieder, und er vergoß oft Thraͤnen der Wehmuth uͤber die Kraͤnkung, welche er seinen Eltern verursachte. Jch that dabei nichts weniger, als daß ich ihn von dem Entschluß, sich dem Theater zu widmen, oder von dem taͤglichen Besuch der Komoͤdie haͤtte abrathen sollen. Oft war er am Morgen, wenn wir aus der großen, und wahren Natur zuruͤckkehrten, fest entschlossen, seine alte Phantasie ganz fahren zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/123
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/123>, abgerufen am 11.12.2024.